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Beständeübersicht

Bestand

13785 Sammlung Audiovisuelle Zeitzeugenberichte

Datierung
Benutzung im Hauptstaatsarchiv Dresden
Umfang (nur lfm)0,00
Der Bestand enthält überwiegend Zeitzeugeninterviews zum Thema des 17. Juni 1953 in Leipzig. Dessen 50. Jahrestag im Jahr 2003 nahmen Archive, Museen, Verbände und Vereine in Leipzig zum Anlass, an die Ereignisse zu erinnern und Ursachen, Verlauf und Folgen in Leipzig und der Region in unterschiedlichen Projekten zu dokumentieren. Die Kooperationspartner waren:
* Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.
* Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU) - Außenstelle Leipzig
* Bürgerkomitee Leipzig e.V. - Träger der Gedenkstätte Museum in der "Runden Ecke"
* Sächsisches Staatsarchiv Leipzig
* Schulmuseum Leipzig/Werkstatt für Schulgeschichte
* Stadtarchiv Leipzig
* Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
* Verband deutscher Schriftsteller
Im Alten Rathaus war von Juni bis Oktober 2003 die gemeinsame Ausstellung der Kooperationspartner zum 17. Juni 1953 zu sehen, die mehr als 15.000 Interessierte besuchten. Mit Texten, Fotos, Dokumenten, Exponaten und 3 Videofilmen auf Grundlage der Zeitzeugen-Interviews gab die Ausstellung umfassend Auskunft über die wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Verhältnisse und Entwicklungen, die zu den Ereignissen am 17. Juni 1953 führten. Die Streiks und Demonstrationen in Leipzig und im Umland wurden veranschaulicht, wie auch die Reaktionen und Auswirkungen. Zusätzlich gab es ein umfangreiches Begleitprogramm.
Die Schriftstellerin Regine Möbius verfasste auf der Grundlage von Zeitzeugen-Berichten zum 17. Juni 1953 das Buch "Panzer gegen die Freiheit".
Zur Vorbereitung des Buches und der Ausstellung befragten 2002 und 2003 Regine Möbius vom Verband deutscher Schriftsteller, Dr. Hans-Christian Herrmann und Stefan Gööck vom Sächsischen Staatsarchiv Leipzig über 40 Zeitzeugen. Die Ton- und Videoaufnahmen gehören zum Bestand des Sächsischen Staatsarchives.
Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten berichten, was sie am 17. Juni 1953 erlebt und gefühlt haben, und wie sie die Ereignisse bewerten. Aber auch über die Lebensumstände und Entwicklungen vor und nach dem 17. Juni 1953 geben die Zeitzeugen Auskunft. So entsteht ein anschauliches Bild über den individuellen Lebensweg der Befragten im Kontext zur gesellschaftlichen und politischen Entwicklung der Nachkriegszeit bis zum 17. Juni 1953.
Die strukturierte und taktische Gesprächsführung der Interviewer war für Vergleiche der Aussagen sehr dienlich. So beginnen die Zeitzeugen mit einem biografischen Teil. Schwerpunkte dabei waren die familiäre Herkunft und die Lebenssituation vom Kriegsende bis zum 17. Juni 1953. Die Zeitzeugen berichten von Zerstörung, Hunger, Wohnungsnot und vom Schwarzmarkt in der Nachkriegszeit. Die Ereignisse am 17. Juni 1953 wurden sehr unterschiedlich erlebt und bewertet. Der größte Teil der Befragten hatte am 17. Juni 1953 wenig Hoffnung auf wirkliche Änderungen. Mit dem Einsatz der sowjetischen Panzer waren die Forderungen zum Scheitern verurteilt.
Die Auswahl der Zeitzeugen waren Empfehlungen vom Bürgerkomitee Leipzig e.V. - Träger der Gedenkstätte Museum in der "Runden Ecke". Fast die Hälfte der Zeitzeugen waren 1953 Studenten, noch Schüler oder bereits Akademiker. Die Hälfte der Akademiker flüchtete von 1955 bis 1961 aus der DDR. Außer einem Theologiestudenten waren sie alle passive Beobachter oder gerieten zufällig in die Demonstrationen. Ähnlich ist das Verhältnis der Befragten aus dem Mittelstand (14% der Zeitzeugen) und der Angestellten (14% der Zeitzeugen). Von fünf Befragten aus dem Mittelstand waren vier passive Beobachter und einer ein aktiver Teilnehmer an den Demonstrationen. Zwei verließen1961 die DDR.
Die Angestellten waren alle passive Beobachter. Etwa 20% der Befragten waren 1953 Arbeiter. Die Hälfte von ihnen waren aktive Streik- und Demonstrationsteilnehmer. Zwei Teilnehmer wurden verhört bzw. in Haft genommen. Zwei der damaligen Arbeiter verließen bis 1961 die DDR. Die kirchlichen Vertreter unter den Zeitzeugen (9%) kamen mit den Ereignissen am 17. Juni 1953 nicht unmittelbar in Berührung. Zwei der Zeitzeugen, beide aufeinander folgende Studentenpfarrer der Leipziger Universität, weilten an diesem Tag in einer Predigerausbildungsstätte auf dem Land. Dennoch geben ihre Biografien ein deutliches Beispiel für die kirchenfeindliche Politik der DDR vor und nach dem 17. Juni 1953.
Besonders bei den kirchlichen Vertretern und den damaligen Studenten und Akademikern spielte die Konfrontation zwischen der FDJ und der Jungen Gemeinden eine große Rolle. Bei diesen Zeitzeugen sind viele Querverbindungen untereinander festzustellen, die auf ein gut funktionierendes Netzwerk schließen lassen.
1952 wurden auf der 2. SED-Parteikonferenz Repressalien gegen die Jungen Gemeinden und die Kirche beschlossen und zunächst rigoros durchgesetzt. Jedoch wurde am 10. Juni 1953 von DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl der "Neue Kurs" verkündet, von dem auch die Kirche profitierte: Der Kampf gegen die Junge Gemeinde wurde eingestellt, Pastoren und kirchliche Mitarbeiter aus der Haft entlassen, Prozesse wurden eingestellt. Wegen kirchlicher Bekenntnisse von der Oberschule verwiesene Schüler wurden wieder aufgenommen und zum Abitur zugelassen.
Zwei der befragten Zeitzeugen wurden am 17. Juni 1953 durch Schusswaffen verletzt.
Ursachen, die zu den Ereignissen am 17. Juni 1953 führten, werden von allen Zeitzeugen ähnlich beschrieben. Allen voran steht die Arbeits-Norm-Erhöhung als Auslöser. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die diktatorische Politik und militante Macht der SED-Regierung war dramatisch gewachsen. Dazu trugen folgende politischen Beschlüsse, Maßnahmen und deren Auswirkungen bei:
Die Zwangs-Vereinigung von KPD und SPD zur SED 1946.
Die Maßnahmen zur Schaffung der "Partei neuen Typus" 1948.
Die Wahlen nach der Einheitsliste der Nationalen Front 1950.
Die Beschlüsse der 2. Parteikonferenz 1952 zur Kollektivierung der Landwirtschaft und der offene Kampf gegen die Kirche.
Die Preiserhöhungen für Lebensmittel, die Kürzung der Löhne und Normerhöhungen im Frühjahr 1953.
Die Korrekturen am 10. Juni 1953 mit dem "Neuen Kurs", von Moskau diktiert, kamen zu spät. Mit den Versprechungen konnte die Regierung das erhoffte Vertrauen der Bevölkerung nicht zurück gewinnen. Wie sich herausstellte, waren die Maßnahmen keine Abkehr von der bisherigen Linie, sondern nur eine taktische Verzögerung, um den Widerstand in der Bevölkerung zu bremsen.
Die meisten der Befragten erhielten ihre Informationen vorwiegend über den Radiosender RIAS ("Rundfunk im amerikanischen Sektor") Berlin. Auch gibt es viele Übereinstimmungen der Beschreibungen und Bewertungen der Ereignisse am 17. Juni 1953 im Zentrum von Leipzig: Der brennende, geplünderte Pavillon der Nationalen Front, der Sturm auf das Gefängnis in der Beethovenstraße, die Plünderung der FDJ-Zentrale in der Ritterstraße, die Panzer in der Innenstadt und am Hauptbahnhof, Verletzte und Tote.
Es war ein spontaner, planloser Aufstand. Die Ziele waren in den Parolen formuliert: "Runter mit den Normen", "Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille", "Nieder mit der Regierung", "Freie Wahlen". Die Frage, ob es ein Arbeiter- oder ein Volksaufstand war, konnte auch hier nicht geklärt werden. Die Tendenz ging zum Arbeiteraufstand.
2007 wurden die Zeitzeugen-Interviews in Zusammenarbeit mit dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig und dem Sächsischen Staatsarchiv fortgesetzt. In diesen Gesprächen waren Kriegsgefangenschaft, Nachkriegszeit und Juden die Schwerpunkte. Die Ereignisse am 17. Juni 1953 wurden hier kaum besprochen.
  • 2024-02-19 | Diese Ausgabe über AWAX 2.0.1.5
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