Der »Prager Frühling« im Spiegel einer Strafakte
Am 25.11.1968 wurde Rudolf Emil Kunze wegen mehrfacher Staatsverleumdung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt.
Die Strafe wurde im Juli 1969 zur Bewährung ausgesetzt. Vorgeworfen wurde Kunze, dass er Fotografien, die er am 21. August während des Einmarsches von Truppen der UdSSR und der Volksrepubliken Bulgarien, Polen und Ungarn, und den Folgetagen angefertigt hatte, in seinem beruflichen und privaten Umfeld herumgezeigt hatte.
Auch in der DDR-Bevölkerung stieß der Prager Weg auf Sympathie. Um einen Hauch jenes Frühlings zu erleben, reisten viele Bürgerinnen und Bürger sogar in die ČSSR. Zugleich häufte sich die offene Kritik an den Reformgegnern: den Partei- und Staatsführungen der DDR und der »befreundeten« Staaten. Im Lauf des Jahres 1968 legte sich die Sowjetunion und in ihrem Gefolge die DDR-Führung auf die Einschätzung der Ereignisse als gegen den Sozialismus gerichtete Konterrevolution fest.
Unter den von Kunze während einer Urlaubsreise durch die Tschechoslowakei gesammelten Belegen befand sich auch das gezeigte Plakat, mit dem sich die tschechoslowakische Bevölkerung an die Bürger der DDR wandte und gegen den Vorwurf, Konterrevolution zu betreiben, zur Wehr setzte.
Der Bestand 30524 Staatsanwalt des Kreises Zschopau enthält das einzige bekannte Strafverfahren aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt, das sich explizit mit dem Prager Frühling auseinandersetzt. Im Dezember 1968 beschloss das Politbüro des ZK der SED die Einstellung von Verfahren gegenüber Personen, die im Zusammenhang mit den Ereignissen nach dem 21. August 1968 angeklagt geworden waren.