Beständeübersicht
Bestand
12657 Nachlass Elisabeth Boer
Datierung | 1896 - 1985 |
---|---|
Benutzung im | Hauptstaatsarchiv Dresden |
Umfang (nur lfm) | 26,12 |
Elisabeth Karoline Boer wurde als Tochter des Fabrikdirektors Reinhold Boer und seiner Ehefrau Elisabeth, geb. Fischer, am 28. April 1896 in Bochum geboren. Über ihre ersten bewussten Erfahrungen innerhalb der Familie schreibt sie rückblickend: "Unsere Eltern bescherten meiner anderthalb Jahre älteren Schwester und mir eine glückliche Kindheit mit unvergesslichen Wanderungen in der westfälischen Heimat und auf Reisen, wobei Mutter uns zu der angeborenen Tier- und Pflanzenliebe auch die notwendigsten Kenntnisse über ihre Lebensweise vermittelte, während Vater unseren Blick mehr auf die Geschichte lenkte." [01]
Mit sechs Jahren wurde sie in die Höhere Mädchenschule in Bochum eingeschult, von 1911 bis 1914 besuchte sie die realgymnasiale Studienanstalt für Mädchen in Hannover und danach die reformrealgymnasiale Studienanstalt für Mädchen in Dresden-Neustadt, wo sie zu Ostern 1917 die Reifeprüfung ablegte.
Im Zeitraum von 1917 bis 1924 studierte Elisabeth Boer an den Universitäten in Heidelberg (1917-19), München (Sommer 1921) und Marburg (1919-21 und 1922-24) die Fachrichtungen Geschichte, geschichtliche Hilfs- und Archivwissenschaften, Germanistik und Latein bei den Professoren Oncken, Hampe, Brackmann, Joachimsohn und Stengel. Ihr Doktorexamen bestand sie 1923 mit einer vielbeachteten Dissertation [02] , im Jahr 1924 legte sie in Marburg das Staatsexamen für das höhere Lehramt ab.
Von Dez. 1923 bis Sept. 1925 volontierte sie am Sächsischen Hauptstaatsarchiv, um daraufhin ab dem 1. Okt. des Jahres eine Anstellung als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am damaligen Dresdner Ratsarchiv (ab 1936 nach Übernahme des Stadtverordnetenarchivs: Stadtarchiv) aufzunehmen. Allerdings war die Ausbildung für wissenschaftliche Archivare im preußischen Archivdienst in Dahlem noch nicht für Frauen zugänglich und daher hat sie es Woldemar Lippert, dem Leiter des Hauptstaatsarchivs, zu verdanken, dass sie überhaupt als Volontärin aufgenommen wurde. Dazu kam für sie die Ausbildung durch Dr. Beschorner und Dr. Brabant, die nach ihren eigenen Worten die reguläre Ausbildung in Dahlem sehr gut ersetzte. Die folgende Anstellung bekam sie daraufhin durch den fortschrittlichen Leiter der Stadtbibliothek und des Ratsarchivs, Herrn Dr. Hermann Müller (-Benedict, seit 1936), der sie aus mehreren Bewerbern als die einzige weibliche Bewerberin auswählte. Sie arbeitete nun in allen Gebieten des Archivwesens, etwa an der Ordnung und Verzeichnung von Beständen, der Sichtung und Aussonderung von Schriftgut ohne Dauerwert und erstellte Gutachten und Berichte aufgrund archivalischer Forschungen. Für die Veröffentlichung bereitete sie die Neuauflage des Dresdner Urkundenbuches vor und verfasste eine Chronik des Kurortes Weißer Hirsch - Dresden (1932). Seit 1943 war sie für die Bearbeitung der seit 1929 in Form einer Kartothek aufgebauten Stoffsammlung für eine künftige Stadtchronik verantwortlich.
Durch ihren selbstlosen persönlichen Einsatz in der Dresdner Bombennacht vom 13. zum 14. Februar 1945 hat sie dazu beigetragen, dass drei Viertel der Archivbestände des Stadtarchivs vor der Vernichtung bewahrt blieben. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erwarb sich Elisabeth Boer beim Wiederaufbau des Stadtarchivs unter den widrigsten Umständen große Verdienste. Hierzu zählen die Einrichtung neuer Archivräume und die Rückführung ausgelagerter Bestände.
Ab 1951 war sie schließlich die erste Leiterin des Dresdner Stadtarchivs, das ein Jahr später ein selbständiges Institut wurde. Dabei hatte sie die vielen Verwaltungsgeschäfte zu führen, wobei der Ausbau des Ruinengrundstücks eine zusätzliche Belastung darstellte. Unter ihrer Leitung trat das Stadtarchiv mit Vorträgen und Führungen an die Öffentlichkeit, leistete beim Neuaufbau der Stadt Dresden durch Bereitstellung archivalischer Quellen wertvolle Hilfe und unterstützte die Forschung durch einen qualifizierten Beratungs- und Auskunftsdienst.
Nach dem Ende ihrer Dienstzeit 1956 pflegte Elisabeth Boer ihre Mutter und widmete sich der eigenen wissenschaftlichen Forschung. 1963 veröffentlichte sie die Edition des ältesten Dresdner Stadtbuches von 1404 bis 1436. [03] Dieses Stadtbuch bildet nach den im CDS II,5 gedruckten Urkunden die älteste Quelle zur Geschichte Dresdens. Danach folgte in jahrzehntelanger Forschung und ohne eine materielle Vergütung die Erarbeitung des Registerbandes zu dem 1898 erschienenen 3. Band der Edition der Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen für die Jahre 1196 bis 1234. [04] Das Register sollte bei der Akademie der Wissenschaften in Leipzig als Band des Urkundenbuches CDS herausgegeben werden.
Allerdings konnte sie diesen aufgrund eines Schlaganfalls im Jahr 1991 nicht mehr abschließen, wobei das Manuskript bereits fertiggestellt war und nur noch einer letzten Überprüfung bedurfte. Bis kurz vor ihren Tod am 17. Januar 1991 arbeitete die noch rüstige, über neunzigjährige Wissenschaftlerin in der ihr eigenen akribischen Art und Weise an diesem umfangreichen Forschungsprojekt. 1986 bekam sie in Anerkennung ihrer verdienstvollen Tätigkeit die Leibniz-Medaille von der Akademie der Wissenschaften der DDR "für fundamentale Arbeiten zur Monumenta Germaniae Historica" verliehen.
Zeit ihres Lebens war Elisabeth Boer sehr unternehmungslustig und machte unzählige Reisen, die sie durch ganz Deutschland, ins Elsass, nach Norwegen und Sizilien führten. Eine Fahrt ging sogar bis in die damaligen südlichen Sowjetrepubliken. Neben der wissenschaftlichen Betätigung engagierte sie sich auch für den Tierschutz, wirkte aktiv in ihrer Kirchgemeinde mit und war Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft für sächsische Kirchengeschichte.
Der ‚Nachlass Elisabeth Boer' enthält auch Unterlagen der Handelsfirma Hugo Haußhälter in Dresden (Großenhainer Str. 198).
Diese Firma verkauften die Nachkommen von Hugo Haußhälter im Oktober 1913 an Reinhold Boer, den Vater von Elisabeth Boer. Bis zu seinem Tod 1924 führte er die Geschäfte, welche die Produktion von Geschwindigkeitsmessern und Diagramm-Papier umfassten. Eine enge Zusammenarbeit bestand mit den Firmen Seidel & Naumann in Dresden sowie mit der Hasler A.-G. in Bern.
Ab 1924 führte die Mutter Elisabeth Boer die Firma bis zur Schließung im Jahr 1946 weiter. Um auch die beiden Töchter Elisabeth und Emilie Boer an dem Betrieb zu beteiligen, wurde 1925 ein Gesellschaftsvertrag geschlossen. Hierbei erhielten die Töchter eine stille Beteiligung und wurden damit zu Gesellschafterinnen am Geschäft der Firma. Die im Bestand vorhandenen Unterlagen ergeben sich aus diesem Sachverhalt.
Bevor die Familie nach Dresden übersiedelte, war Reinhold Boer Fabrikbesitzer der Gustav Schulz & Cie. Gesellschaft für chemische Industrie m.b.H. in Bochum (am Bahnhof Hofstede) mit folgenden vier Produktions-Abteilungen: Teerdestillation, Ammoniakerzeugnisse, Mineral-Säuren und Mineral-Farben. 1895 fand die Umwandlung dieses Betriebs in eine GmbH statt und Reinhold Boer wurde gleichzeitig (nach dem Tod des Firmengründers) zum Geschäftsführer ernannt. Im Jahr 1907 erfolgte die Gründung der Aktiengesellschaft Gustav Schulz & Cie. Ein Jahr darauf fusionierte sie mit der Aktiengesellschaft Gebr. Heyl & Co.
1911 musste die Familie wegen einer schweren Erkrankung des Vaters nach Hannover umziehen. Das Ende der Firma Gustav Schulz & Co. kam dann 1913, als sie aus dem Handelsregister gelöscht wurde.
Lange Jahre war Reinhold Boer auch Vorsitzender des Kaufmännischen Vereins in Bochum sowie einer der Gründer der Kaufmännischen Schule. Mit dem Umzug nach Hannover wurde er vom Kaufmännischen Verein aus Dankbarkeit für seinen verdienstvollen Einsatz zum Ehrenvorsitzenden gewählt.Bestandsgeschichte
Der Bestand 12657 Nachlass Elisabeth Boer umfasst 23,8 lfm. Im Zug der Bearbeitung wurden 0,55 lfm aus dem Bestand 12824 Emilie Boer sowie 2,04 lfm eines aus dem Stadtarchiv Dresden übernommenen Bestandsrestes eingearbeitet.
Der Nachlass wurde 1998 grob vorgeordnet und danach größtenteils verpackt, ohne dass eine Verzeichnung erfolgte. Mit der Vorordnung sollte eine chronologische Gliederung mit den Punkten biographisches, wissenschaftliche Arbeit, Forschung am CDS und Bibliothek in den Bestand gebracht werden.
Durch die Übernahme und die Vorordnung sind ehemalige Ablagesysteme der Nachlasserin vielfach zerstört worden. Oft finden sich original zusammengestellte Akteneinheiten, die jedoch in ihrer Reihenfolge nicht zusammenhängend gelagert wurden. Die Karteien zum Register des CDS sind noch in der originalen Ordnung erhalten. Alte Signaturen konnten nicht festgestellt werden, wohl aber eine sorgfältige Beschriftung vieler Akten, teils auch mit Datierung.
Der Nachlass hat folgenden Inhalt: Unterlagen von der Ausbildung (Schule, Studium), persönliche Dokumente und Aufzeichnungen, private und dienstliche Korrespondenz, wissenschaftliche Forschung, berufliche Tätigkeit, veröffentlichte Werke, Karteien, eine Bibliothek sowie heterobiographisches Material von den Eltern und der Schwester. An Schrift- und Bildträgern sind neben Papier auch Fotos, Dias und Glasnegative vorhanden.
Die Verzeichnung des Nachlasses erfolgte nach dem Bär´schen Prinzip, die Klassifikation orientierte sich an dem von H. O. Meissner entwickelten Rahmenschema zur Ordnung von Personennachlässen. [05] Die Sortierung der Verzeichnungseinheiten innerhalb eines Klassifikationspunktes geschah zuerst nach der Laufzeit und dann nach dem Titel.
Eine erneute physische Reorganisation der Unterlagen wurde nicht vorgenommen. Die Aktentitel im Gliederungspunkt 3 ("Wissenschaftliches Werk") geben den zentralen Inhalt der Verzeichnungseinheiten wieder. Deshalb erscheinen in den Vermerken nur die vom Titel abweichenden Inhalte.Besonderheiten
Der Inhalt der meisten Verzeichnungseinheiten erstreckt sich über eine Vielzahl von Einzelbetreffen, wobei die jeweilige Verzeichnungseinheit nur an einem Ort im Findbuch erscheint. Beispielsweise kann es möglich sein, dass sich unter einer Archivaliensignatur mit dem Titel "Manuskript" auch "Korrespondenz" und "Druckschriften" verbergen und somit diese Einheit eigentlich drei Klassifikationspunkte berührt. In diesen Fällen erfolgte die Klassifikation nach dem Umfang, d. h. der größte inhaltliche Sinnzusammenhang bestimmte die Einordnung, wobei diese als vorläufig zu betrachten ist. Eine Bewertung wurde bislang nicht vorgenommen.
Der Klassifikationspunkt "Korrespondenz" bezeichnet privaten und beruflichen Briefwechsel gleichermaßen. Selbst bei einem einzigen Brief kann mitunter nicht zwischen privat und beruflich unterschieden werden, da die Bekanntschaften der Nachlasserin in der Regel über die wissenschaftliche Arbeit hergestellt wurden und sich dann allmählich auch zu persönlichen Freundschaften entwickelten. Damit enthält ein solcher Brief wissenschaftliche Belange ebenso wie private. Weiterhin ist die "Korrespondenz" nicht allein Elisabeth Boer zuzuordnen. Manche Briefe sind an die ganze Familie gerichtet und ein nicht unbedeutender Teil der Briefe gehört zur Korrespondenz der Schwester, der Mutter, des Vaters oder der Firma. Aus diesen Gründen wurde keine weitere Untergliederung dieses Klassifikationspunktes vorgenommen.
Heterobiographisches Material der Familienangehörigen kommt im Bestand vor. Eine strikte Provenienztrennung ist hier jedoch nicht möglich.
Der Nachlass umfasst auch die private Bibliothek von Elisabeth Boer und ihrer Schwester Emilie. Häufig handelt es sich bei den Schriften um Sonderdrucke von ihnen nahestehenden Gelehrten.
Zur Bildung des Nachlasses 12824 Emilie Boer wurden wahrscheinlich im Zug der Übernahme aus dem Nachlass von Elisabeth Boer diejenigen Bestandteile herausgezogen, die zum Nachlass ihrer Schwester gehörten. Jedoch wechselte dabei vieles vom Nachlass Elisabeth in denjenigen der Schwester hinüber. Diese Akten wurden jetzt bei der Bearbeitung ausgesondert und wieder in den Bestand Elisabeth Boer eingefügt. Eine Trennung beider Nachlässe konnte in vielen Fällen nicht zweifelsfrei durchgeführt werden, da die Schwestern zusammen mit der Mutter mehrere Jahrzehnte lang in der gleichen Wohnung lebten, teils die gleichen Briefkontakte hatten, dieselben Bücher und Zeitschriften lasen und auch z. B. in finanzieller Hinsicht gemeinsame Ablagen hatten (oft auch zusätzlich mit der Mutter zusammen). Aus diesem Grund verblieben auch die Unterlagen der Firma beim Bestand.
Festzuhalten bleibt, dass beide Nachlässe eine enge Beziehung zueinander haben und sich in vielen Fällen, sei es bei amtlichen Dokumenten der Familie oder bei der Korrespondenz, inhaltlich berühren. Deshalb ist bei der Benutzung des einen Nachlasses auch die Beachtung des anderen wichtig, um etwaige Lücken schließen oder offene Fragen klären zu können.
Die Verzeichnung erfolgte im Sommer 2004 von Christian Strunz unter der Leitung und auf Grundlage der Rahmenbedingungen von Dr. Nils Brübach.Literatur zur Person
Kobuch, Manfred, Bibliographie Elisabeth Boer, Dresden 1986.
Schmidt, Gerhard, Mit Dresden aufs engste verbunden - Zum Gedenken an Dr. Elisabeth
Boer, aus: Die Union, 100/1991, Jg. 46, S. 10.
Ders., Dank an eine Archivarin – Dr. Elisabeth Boer zum 90. Geburtstag, aus: Die Union,
100/1986, Jg. 41.
Ders., Dr. Elisabeth Boer zum 75. Geburtstag, aus: Sächsische Heimatblätter, 4/1971, S. 187.
[01] Aus: Entwurf eines Antwortschreibens auf die Glückwünsche zum 90. Geburtstag an den Dresdner Oberbürgermeister vom 30.04.1986 (siehe Verzeichnungseinheit Nr. 57 in diesem Bestand).
[02] Reformbestrebungen in dem Waldecker Kloster Volkhardinghausen 1465-1576 (Marburg 1923, 2 Bde.).
[03] Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, hrsg. von der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Bd. 1.
[04] Zum Inhalt des CDS I A,3: Orte und Personen, Glossar, Urkundenaussteller, Urkundenempfänger, Konkordanz zu Otto Dobenecker (Regesta diplomatica necnon epistolaria historiae Thuringiae, Jena 1900-1925, Bd. 2-3), Corrigenda et addendea zu Otto Posses Edition, Bibliographie.
[05] H. O. Meissner, W. Leesch, Grundzüge einer deutschen Archivterminologie, Beilage zu Archivmitteilungen 5 (1995) H. 4, S. 5; Archivmitteilungen 10 (1960) H. 4, S. 137.
Mit sechs Jahren wurde sie in die Höhere Mädchenschule in Bochum eingeschult, von 1911 bis 1914 besuchte sie die realgymnasiale Studienanstalt für Mädchen in Hannover und danach die reformrealgymnasiale Studienanstalt für Mädchen in Dresden-Neustadt, wo sie zu Ostern 1917 die Reifeprüfung ablegte.
Im Zeitraum von 1917 bis 1924 studierte Elisabeth Boer an den Universitäten in Heidelberg (1917-19), München (Sommer 1921) und Marburg (1919-21 und 1922-24) die Fachrichtungen Geschichte, geschichtliche Hilfs- und Archivwissenschaften, Germanistik und Latein bei den Professoren Oncken, Hampe, Brackmann, Joachimsohn und Stengel. Ihr Doktorexamen bestand sie 1923 mit einer vielbeachteten Dissertation [02] , im Jahr 1924 legte sie in Marburg das Staatsexamen für das höhere Lehramt ab.
Von Dez. 1923 bis Sept. 1925 volontierte sie am Sächsischen Hauptstaatsarchiv, um daraufhin ab dem 1. Okt. des Jahres eine Anstellung als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am damaligen Dresdner Ratsarchiv (ab 1936 nach Übernahme des Stadtverordnetenarchivs: Stadtarchiv) aufzunehmen. Allerdings war die Ausbildung für wissenschaftliche Archivare im preußischen Archivdienst in Dahlem noch nicht für Frauen zugänglich und daher hat sie es Woldemar Lippert, dem Leiter des Hauptstaatsarchivs, zu verdanken, dass sie überhaupt als Volontärin aufgenommen wurde. Dazu kam für sie die Ausbildung durch Dr. Beschorner und Dr. Brabant, die nach ihren eigenen Worten die reguläre Ausbildung in Dahlem sehr gut ersetzte. Die folgende Anstellung bekam sie daraufhin durch den fortschrittlichen Leiter der Stadtbibliothek und des Ratsarchivs, Herrn Dr. Hermann Müller (-Benedict, seit 1936), der sie aus mehreren Bewerbern als die einzige weibliche Bewerberin auswählte. Sie arbeitete nun in allen Gebieten des Archivwesens, etwa an der Ordnung und Verzeichnung von Beständen, der Sichtung und Aussonderung von Schriftgut ohne Dauerwert und erstellte Gutachten und Berichte aufgrund archivalischer Forschungen. Für die Veröffentlichung bereitete sie die Neuauflage des Dresdner Urkundenbuches vor und verfasste eine Chronik des Kurortes Weißer Hirsch - Dresden (1932). Seit 1943 war sie für die Bearbeitung der seit 1929 in Form einer Kartothek aufgebauten Stoffsammlung für eine künftige Stadtchronik verantwortlich.
Durch ihren selbstlosen persönlichen Einsatz in der Dresdner Bombennacht vom 13. zum 14. Februar 1945 hat sie dazu beigetragen, dass drei Viertel der Archivbestände des Stadtarchivs vor der Vernichtung bewahrt blieben. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erwarb sich Elisabeth Boer beim Wiederaufbau des Stadtarchivs unter den widrigsten Umständen große Verdienste. Hierzu zählen die Einrichtung neuer Archivräume und die Rückführung ausgelagerter Bestände.
Ab 1951 war sie schließlich die erste Leiterin des Dresdner Stadtarchivs, das ein Jahr später ein selbständiges Institut wurde. Dabei hatte sie die vielen Verwaltungsgeschäfte zu führen, wobei der Ausbau des Ruinengrundstücks eine zusätzliche Belastung darstellte. Unter ihrer Leitung trat das Stadtarchiv mit Vorträgen und Führungen an die Öffentlichkeit, leistete beim Neuaufbau der Stadt Dresden durch Bereitstellung archivalischer Quellen wertvolle Hilfe und unterstützte die Forschung durch einen qualifizierten Beratungs- und Auskunftsdienst.
Nach dem Ende ihrer Dienstzeit 1956 pflegte Elisabeth Boer ihre Mutter und widmete sich der eigenen wissenschaftlichen Forschung. 1963 veröffentlichte sie die Edition des ältesten Dresdner Stadtbuches von 1404 bis 1436. [03] Dieses Stadtbuch bildet nach den im CDS II,5 gedruckten Urkunden die älteste Quelle zur Geschichte Dresdens. Danach folgte in jahrzehntelanger Forschung und ohne eine materielle Vergütung die Erarbeitung des Registerbandes zu dem 1898 erschienenen 3. Band der Edition der Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen für die Jahre 1196 bis 1234. [04] Das Register sollte bei der Akademie der Wissenschaften in Leipzig als Band des Urkundenbuches CDS herausgegeben werden.
Allerdings konnte sie diesen aufgrund eines Schlaganfalls im Jahr 1991 nicht mehr abschließen, wobei das Manuskript bereits fertiggestellt war und nur noch einer letzten Überprüfung bedurfte. Bis kurz vor ihren Tod am 17. Januar 1991 arbeitete die noch rüstige, über neunzigjährige Wissenschaftlerin in der ihr eigenen akribischen Art und Weise an diesem umfangreichen Forschungsprojekt. 1986 bekam sie in Anerkennung ihrer verdienstvollen Tätigkeit die Leibniz-Medaille von der Akademie der Wissenschaften der DDR "für fundamentale Arbeiten zur Monumenta Germaniae Historica" verliehen.
Zeit ihres Lebens war Elisabeth Boer sehr unternehmungslustig und machte unzählige Reisen, die sie durch ganz Deutschland, ins Elsass, nach Norwegen und Sizilien führten. Eine Fahrt ging sogar bis in die damaligen südlichen Sowjetrepubliken. Neben der wissenschaftlichen Betätigung engagierte sie sich auch für den Tierschutz, wirkte aktiv in ihrer Kirchgemeinde mit und war Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft für sächsische Kirchengeschichte.
Der ‚Nachlass Elisabeth Boer' enthält auch Unterlagen der Handelsfirma Hugo Haußhälter in Dresden (Großenhainer Str. 198).
Diese Firma verkauften die Nachkommen von Hugo Haußhälter im Oktober 1913 an Reinhold Boer, den Vater von Elisabeth Boer. Bis zu seinem Tod 1924 führte er die Geschäfte, welche die Produktion von Geschwindigkeitsmessern und Diagramm-Papier umfassten. Eine enge Zusammenarbeit bestand mit den Firmen Seidel & Naumann in Dresden sowie mit der Hasler A.-G. in Bern.
Ab 1924 führte die Mutter Elisabeth Boer die Firma bis zur Schließung im Jahr 1946 weiter. Um auch die beiden Töchter Elisabeth und Emilie Boer an dem Betrieb zu beteiligen, wurde 1925 ein Gesellschaftsvertrag geschlossen. Hierbei erhielten die Töchter eine stille Beteiligung und wurden damit zu Gesellschafterinnen am Geschäft der Firma. Die im Bestand vorhandenen Unterlagen ergeben sich aus diesem Sachverhalt.
Bevor die Familie nach Dresden übersiedelte, war Reinhold Boer Fabrikbesitzer der Gustav Schulz & Cie. Gesellschaft für chemische Industrie m.b.H. in Bochum (am Bahnhof Hofstede) mit folgenden vier Produktions-Abteilungen: Teerdestillation, Ammoniakerzeugnisse, Mineral-Säuren und Mineral-Farben. 1895 fand die Umwandlung dieses Betriebs in eine GmbH statt und Reinhold Boer wurde gleichzeitig (nach dem Tod des Firmengründers) zum Geschäftsführer ernannt. Im Jahr 1907 erfolgte die Gründung der Aktiengesellschaft Gustav Schulz & Cie. Ein Jahr darauf fusionierte sie mit der Aktiengesellschaft Gebr. Heyl & Co.
1911 musste die Familie wegen einer schweren Erkrankung des Vaters nach Hannover umziehen. Das Ende der Firma Gustav Schulz & Co. kam dann 1913, als sie aus dem Handelsregister gelöscht wurde.
Lange Jahre war Reinhold Boer auch Vorsitzender des Kaufmännischen Vereins in Bochum sowie einer der Gründer der Kaufmännischen Schule. Mit dem Umzug nach Hannover wurde er vom Kaufmännischen Verein aus Dankbarkeit für seinen verdienstvollen Einsatz zum Ehrenvorsitzenden gewählt.Bestandsgeschichte
Der Bestand 12657 Nachlass Elisabeth Boer umfasst 23,8 lfm. Im Zug der Bearbeitung wurden 0,55 lfm aus dem Bestand 12824 Emilie Boer sowie 2,04 lfm eines aus dem Stadtarchiv Dresden übernommenen Bestandsrestes eingearbeitet.
Der Nachlass wurde 1998 grob vorgeordnet und danach größtenteils verpackt, ohne dass eine Verzeichnung erfolgte. Mit der Vorordnung sollte eine chronologische Gliederung mit den Punkten biographisches, wissenschaftliche Arbeit, Forschung am CDS und Bibliothek in den Bestand gebracht werden.
Durch die Übernahme und die Vorordnung sind ehemalige Ablagesysteme der Nachlasserin vielfach zerstört worden. Oft finden sich original zusammengestellte Akteneinheiten, die jedoch in ihrer Reihenfolge nicht zusammenhängend gelagert wurden. Die Karteien zum Register des CDS sind noch in der originalen Ordnung erhalten. Alte Signaturen konnten nicht festgestellt werden, wohl aber eine sorgfältige Beschriftung vieler Akten, teils auch mit Datierung.
Der Nachlass hat folgenden Inhalt: Unterlagen von der Ausbildung (Schule, Studium), persönliche Dokumente und Aufzeichnungen, private und dienstliche Korrespondenz, wissenschaftliche Forschung, berufliche Tätigkeit, veröffentlichte Werke, Karteien, eine Bibliothek sowie heterobiographisches Material von den Eltern und der Schwester. An Schrift- und Bildträgern sind neben Papier auch Fotos, Dias und Glasnegative vorhanden.
Die Verzeichnung des Nachlasses erfolgte nach dem Bär´schen Prinzip, die Klassifikation orientierte sich an dem von H. O. Meissner entwickelten Rahmenschema zur Ordnung von Personennachlässen. [05] Die Sortierung der Verzeichnungseinheiten innerhalb eines Klassifikationspunktes geschah zuerst nach der Laufzeit und dann nach dem Titel.
Eine erneute physische Reorganisation der Unterlagen wurde nicht vorgenommen. Die Aktentitel im Gliederungspunkt 3 ("Wissenschaftliches Werk") geben den zentralen Inhalt der Verzeichnungseinheiten wieder. Deshalb erscheinen in den Vermerken nur die vom Titel abweichenden Inhalte.Besonderheiten
Der Inhalt der meisten Verzeichnungseinheiten erstreckt sich über eine Vielzahl von Einzelbetreffen, wobei die jeweilige Verzeichnungseinheit nur an einem Ort im Findbuch erscheint. Beispielsweise kann es möglich sein, dass sich unter einer Archivaliensignatur mit dem Titel "Manuskript" auch "Korrespondenz" und "Druckschriften" verbergen und somit diese Einheit eigentlich drei Klassifikationspunkte berührt. In diesen Fällen erfolgte die Klassifikation nach dem Umfang, d. h. der größte inhaltliche Sinnzusammenhang bestimmte die Einordnung, wobei diese als vorläufig zu betrachten ist. Eine Bewertung wurde bislang nicht vorgenommen.
Der Klassifikationspunkt "Korrespondenz" bezeichnet privaten und beruflichen Briefwechsel gleichermaßen. Selbst bei einem einzigen Brief kann mitunter nicht zwischen privat und beruflich unterschieden werden, da die Bekanntschaften der Nachlasserin in der Regel über die wissenschaftliche Arbeit hergestellt wurden und sich dann allmählich auch zu persönlichen Freundschaften entwickelten. Damit enthält ein solcher Brief wissenschaftliche Belange ebenso wie private. Weiterhin ist die "Korrespondenz" nicht allein Elisabeth Boer zuzuordnen. Manche Briefe sind an die ganze Familie gerichtet und ein nicht unbedeutender Teil der Briefe gehört zur Korrespondenz der Schwester, der Mutter, des Vaters oder der Firma. Aus diesen Gründen wurde keine weitere Untergliederung dieses Klassifikationspunktes vorgenommen.
Heterobiographisches Material der Familienangehörigen kommt im Bestand vor. Eine strikte Provenienztrennung ist hier jedoch nicht möglich.
Der Nachlass umfasst auch die private Bibliothek von Elisabeth Boer und ihrer Schwester Emilie. Häufig handelt es sich bei den Schriften um Sonderdrucke von ihnen nahestehenden Gelehrten.
Zur Bildung des Nachlasses 12824 Emilie Boer wurden wahrscheinlich im Zug der Übernahme aus dem Nachlass von Elisabeth Boer diejenigen Bestandteile herausgezogen, die zum Nachlass ihrer Schwester gehörten. Jedoch wechselte dabei vieles vom Nachlass Elisabeth in denjenigen der Schwester hinüber. Diese Akten wurden jetzt bei der Bearbeitung ausgesondert und wieder in den Bestand Elisabeth Boer eingefügt. Eine Trennung beider Nachlässe konnte in vielen Fällen nicht zweifelsfrei durchgeführt werden, da die Schwestern zusammen mit der Mutter mehrere Jahrzehnte lang in der gleichen Wohnung lebten, teils die gleichen Briefkontakte hatten, dieselben Bücher und Zeitschriften lasen und auch z. B. in finanzieller Hinsicht gemeinsame Ablagen hatten (oft auch zusätzlich mit der Mutter zusammen). Aus diesem Grund verblieben auch die Unterlagen der Firma beim Bestand.
Festzuhalten bleibt, dass beide Nachlässe eine enge Beziehung zueinander haben und sich in vielen Fällen, sei es bei amtlichen Dokumenten der Familie oder bei der Korrespondenz, inhaltlich berühren. Deshalb ist bei der Benutzung des einen Nachlasses auch die Beachtung des anderen wichtig, um etwaige Lücken schließen oder offene Fragen klären zu können.
Die Verzeichnung erfolgte im Sommer 2004 von Christian Strunz unter der Leitung und auf Grundlage der Rahmenbedingungen von Dr. Nils Brübach.Literatur zur Person
Kobuch, Manfred, Bibliographie Elisabeth Boer, Dresden 1986.
Schmidt, Gerhard, Mit Dresden aufs engste verbunden - Zum Gedenken an Dr. Elisabeth
Boer, aus: Die Union, 100/1991, Jg. 46, S. 10.
Ders., Dank an eine Archivarin – Dr. Elisabeth Boer zum 90. Geburtstag, aus: Die Union,
100/1986, Jg. 41.
Ders., Dr. Elisabeth Boer zum 75. Geburtstag, aus: Sächsische Heimatblätter, 4/1971, S. 187.
[01] Aus: Entwurf eines Antwortschreibens auf die Glückwünsche zum 90. Geburtstag an den Dresdner Oberbürgermeister vom 30.04.1986 (siehe Verzeichnungseinheit Nr. 57 in diesem Bestand).
[02] Reformbestrebungen in dem Waldecker Kloster Volkhardinghausen 1465-1576 (Marburg 1923, 2 Bde.).
[03] Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte, hrsg. von der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Bd. 1.
[04] Zum Inhalt des CDS I A,3: Orte und Personen, Glossar, Urkundenaussteller, Urkundenempfänger, Konkordanz zu Otto Dobenecker (Regesta diplomatica necnon epistolaria historiae Thuringiae, Jena 1900-1925, Bd. 2-3), Corrigenda et addendea zu Otto Posses Edition, Bibliographie.
[05] H. O. Meissner, W. Leesch, Grundzüge einer deutschen Archivterminologie, Beilage zu Archivmitteilungen 5 (1995) H. 4, S. 5; Archivmitteilungen 10 (1960) H. 4, S. 137.
NS-Gauverlag Sachsen GmbH, Zeitungstext- und Bildarchiv
Private Dokumentation zur Familiengeschichte.- Tagebücher.- Wissenschaftliche und private Korrespondenz.- Wissenschaftliche Materialsammlung und Manuskriptsammlung (u. a. zum CDS).- Forschungen zur Dresdner Stadtgeschichte, v. a. im 15. Jh., Kulturgeschichte.- Büchersammlung.- Druckschriftensammlung.
Die Historikerin und Mediävistin Dr. phil. Elisabeth Boer lebte von 1896 bis 1991. Sie studierte von 1917 bis 1923 in Heidelberg, Marburg und München. Von 1925 bis 1956 war sie als Archivarin im Dresdner Stadtarchiv tätig, seit 1951 als dessen Leiterin.
- 2004, Nachtrag 2008 | Findbuch / elektronisches Findmittel
- 2024-02-19 | Diese Ausgabe über AWAX 2.0.1.5