Beständeübersicht
Bestand
20630 Stadt Wurzen (Stadtgericht)
Datierung | 1638 - 1841 |
---|---|
Benutzung im | Staatsarchiv Leipzig |
Umfang (nur lfm) | 6,00 |
Wurzen an der Mulde hat seinen sprachlichen Ursprung im Wendischen. Erstmals wurde "Vurcine" 961 erwähnt, als Kaiser Otto I. dem Erzbistum Magdeburg den Zehnten von verschiedenen Städten schenkte. Durch Schenkung, Lehngabe und Verkauf gelangte Wurzen in verschiedene Hände, bis im 11. Jahrhundert dann der Bischof von Meißen landesherrliche, weltliche Rechte in Wurzen und im ehemaligen "Untergau" Neletici erlangte. 1114 gründete Bischof Herwig von Meißen ein Kollegiatstift zur kirchlichen und weltlichen Verwaltung des Wurzner Territoriums. Aber erst nach der Sicherung dieser landesherrlichen Befugnisse durch das Schiedsgericht von 1284, von dem dem Bischof von Meißen die Oberlehnsherrlichkeit, die hohe und niedere Gerichtsbarkeit, das Zoll-, Markt- sowie das Besteuerungsrecht im geschlossenen Wurzner Territorium (Wurzen und 56 Dörfer, insgesamt 275 qkm) zugesprochen wurden, erfolgte die Anlage einer Marktsiedlung nach Magdeburger Recht. Im Jahre 1489 erhob der damals regierende Bischof, Johann VI. von Sahlhausen, Wurzen zur Residenzstadt. Dies blieb Wurzen bis zur Abdankung des Bischof Johann VIII. von Haugwitz im Oktober 1581. Der Rechtsnachfolger des Bischofs und Administrator des Stiftlandes wurde der Kurfürst von Sachsen. [01]
Die bischöflische Hofhaltung in Wurzen wirkte sich vor allem im 16. Jahrhundert sehr förderlich auf das Handwerk und die Wirtschaft aus, insbesondere auf die Landwirtschaft, die Schafzucht, die Leineweberei, die Bleicherei und die Bierbrauerei. Mit rund 5000 Einwohnern nahm Wurzen im 16. Jahrhundert einen nicht unbedeutenden Platz unter den sächsischen Städten ein. Allerdings verfiel die Stadt durch Seuchen und besonders durch die verheerenden Auswirkungen des 30jährigen Krieges fast zur Bedeutungslosigkeit.
Die Wurzner Geschichte wurde durch die jahrhundertelange kirchliche Verwaltung und Regierung der Stadt und des Landes tief geprägt. Dies spiegelt sich auch in der Ausübung der Gerichtsbarkeit wieder. Obwohl ein Stadtrat verbürgt war, der seit 1481 die Obergerichtsbarkeit gegen jährlichen Zins innehatte, stand dieser immer unter abnehmender Oberaufsicht des Stifts bzw. des residierenden Bischofs. Auch nach 1581 behielt die Stiftsregierung im Namen des Kurfürsten von Sachsen die Oberaufsicht über die Rechtssprechung bis 1818. So erhielt der Rat der Stadt von der Wurzener Stiftsregierung erst nach 1653 die Erbgerichtsbarkeit über die Äcker und Gärten in den Stadtfluren zur Pacht.
Insgesamt wurden die Wurzener Bürger den verschiedensten Gerichtsherrn untergeordnet. So behielt die Stiftsregierung die Jurisdiktion und Lehen über die verschiedensten Äcker, Wiesen und Wälder. Sie regelte Lehn-, Justizien-, Prozess-, Steuer- und Polizeisachen, auch Verordnungen, die im Stift gelegene Vasallen und Schriftsässige abzugeben pflegten.
In der Vorstadt vor dem Wenzelstor gehörten die meisten Einwohner unter die Jurisdiktion des Rates, jedoch etliche Häuser nördlich der Wenzelskirche zum Amt. [02] In der Vorstadt Crostigall gehörte die südliche Seite zur Rechtssprechung des Rates, die nach Norden zum Amt. Ebenso die 11 Gaudlitzhäuser, die von Heinrich von Gaudlitz auf sein Lehn erbaut wurden, aber "der Platz in des Amts Gerichten gelegen", gehören seit 1612 zum Amt und jedes Haus wurde mit jährlich 1 Gulden Schutzgeld belegt. [03] Weitere Gerichtsbarkeiten in der Stadt waren die Mühlengerichte und die Gerichte des Steinhofs bzw. des Gasthofs zum schwarzen und zum weißen Kreuz, bei dem die Erbgerichtsbarkeit dem Patrimonialgericht und die hohe Gerichtsbarkeit dem Amt zustand. [04]
Eine Besonderheit Wurzens ist noch die 1831 gewährte Selbstverwaltung durch neun Kommunalrepräsentanten an Stelle des alten Rats. Jedoch blieb diese Selbstverwaltung nicht lange erhalten, denn 1843 wurden wieder ein Bürgermeister, vier Ratsmänner und neun Stadtverordnete aufgeführt. [05]
Nach der Einführung der Allgemeinen Städteordnung wurde 1833 das Stadtgericht neben dem Rat eine eigenständige Behörde. Bereits 1841 wurde die städtische Gerichtsbarkeit in Wurzen verstaatlicht und an das Königliche Landgericht Wurzen abgetreten. Die vorliegenden Archivalien gelangten 1856 an das Gerichtsamt Wurzen, wobei Heinrich Johann Wilhelm Gottlob Nathusius, vorher Direktor des Landgerichtes Wurzen, zum Gerichtsamtmann berufen wurde. Über das Amtsgericht Wurzen, 1879 gebildet, gelangten die Archivalien an das Sächsische Hauptstaatsarchiv Dresden. Von dort wurden sie ab 1959 an das Staatsarchiv Leipzig abgegeben, wo der Bestand 1998 im Rahmen der Bestandgruppe provenienzgerecht getrennt und mit einem Findbuch zugänglich gemacht wurde.
Im Gegensatz zu den im Bestand "Stadt Wurzen" (Depositum) erfassten Akten sind uns von der verstaatlichten städtischen Gerichtsbarkeit nur 155 Akten überliefert. Den überwiegenden Teil bilden dabei die Testamente und Nachlässe sowie die Kaufprotokolle.
Der zeitliche Umfang der Akten reicht von 1638 bis 1841. Ältere Archivalien liegen nicht vor, da bei dem verheerenden Stadtbrand von 1637 bis auf vier Häuser alles vernichtet wurde. Weitere Gerichtsakten befinden sich im Depositalbestand "Stadt Wurzen".
Als korrespondierende Bestände sind folgende zu nutzen: "Stadt Wurzen" (Depositum), "Domkapitelgericht Wurzen", "Mühlengericht Wurzen", "Freigut Steinhof", "Königliches Landgericht Wurzen", "Gerichtsamt Wurzen", "Amtsgericht Wurzen".
Der Bestand wurde mit dem PC-Programm AUGIAS für Windows verzeichnet. Alte Signaturen wurden übernommen und eine ordnungsabhängige Signatur für den Bestand "Stadtgericht Wurzen" vergeben.
Bei Bestellung und Zitierung ist anzugeben: SächsStAL, Stadtgericht Wurzen, Nr. (fettgedruckte Ziffer).
Elke Kretzschmar
August 1998
[01] Vgl. Erich Keyser, Deutsches Städtebuch Bd. 2, Stuttgart/Berlin 1941, S. 236-238. - Vgl. Christian Schöttgen, Historie der Chur-Sächsischen Stifts-Stadt Wurtzen, Leipzig 1717, S.1-4, S.41ff.
[02] Vgl. C. Schöttgen, a. a. O., S. 15ff.
[03] Ebenda.
[04] Vgl. Staatsarchiv Leipzig Stadt , Nr 3181.
[05] Vgl. Erich Keyser, a.. a. O.
Die bischöflische Hofhaltung in Wurzen wirkte sich vor allem im 16. Jahrhundert sehr förderlich auf das Handwerk und die Wirtschaft aus, insbesondere auf die Landwirtschaft, die Schafzucht, die Leineweberei, die Bleicherei und die Bierbrauerei. Mit rund 5000 Einwohnern nahm Wurzen im 16. Jahrhundert einen nicht unbedeutenden Platz unter den sächsischen Städten ein. Allerdings verfiel die Stadt durch Seuchen und besonders durch die verheerenden Auswirkungen des 30jährigen Krieges fast zur Bedeutungslosigkeit.
Die Wurzner Geschichte wurde durch die jahrhundertelange kirchliche Verwaltung und Regierung der Stadt und des Landes tief geprägt. Dies spiegelt sich auch in der Ausübung der Gerichtsbarkeit wieder. Obwohl ein Stadtrat verbürgt war, der seit 1481 die Obergerichtsbarkeit gegen jährlichen Zins innehatte, stand dieser immer unter abnehmender Oberaufsicht des Stifts bzw. des residierenden Bischofs. Auch nach 1581 behielt die Stiftsregierung im Namen des Kurfürsten von Sachsen die Oberaufsicht über die Rechtssprechung bis 1818. So erhielt der Rat der Stadt von der Wurzener Stiftsregierung erst nach 1653 die Erbgerichtsbarkeit über die Äcker und Gärten in den Stadtfluren zur Pacht.
Insgesamt wurden die Wurzener Bürger den verschiedensten Gerichtsherrn untergeordnet. So behielt die Stiftsregierung die Jurisdiktion und Lehen über die verschiedensten Äcker, Wiesen und Wälder. Sie regelte Lehn-, Justizien-, Prozess-, Steuer- und Polizeisachen, auch Verordnungen, die im Stift gelegene Vasallen und Schriftsässige abzugeben pflegten.
In der Vorstadt vor dem Wenzelstor gehörten die meisten Einwohner unter die Jurisdiktion des Rates, jedoch etliche Häuser nördlich der Wenzelskirche zum Amt. [02] In der Vorstadt Crostigall gehörte die südliche Seite zur Rechtssprechung des Rates, die nach Norden zum Amt. Ebenso die 11 Gaudlitzhäuser, die von Heinrich von Gaudlitz auf sein Lehn erbaut wurden, aber "der Platz in des Amts Gerichten gelegen", gehören seit 1612 zum Amt und jedes Haus wurde mit jährlich 1 Gulden Schutzgeld belegt. [03] Weitere Gerichtsbarkeiten in der Stadt waren die Mühlengerichte und die Gerichte des Steinhofs bzw. des Gasthofs zum schwarzen und zum weißen Kreuz, bei dem die Erbgerichtsbarkeit dem Patrimonialgericht und die hohe Gerichtsbarkeit dem Amt zustand. [04]
Eine Besonderheit Wurzens ist noch die 1831 gewährte Selbstverwaltung durch neun Kommunalrepräsentanten an Stelle des alten Rats. Jedoch blieb diese Selbstverwaltung nicht lange erhalten, denn 1843 wurden wieder ein Bürgermeister, vier Ratsmänner und neun Stadtverordnete aufgeführt. [05]
Nach der Einführung der Allgemeinen Städteordnung wurde 1833 das Stadtgericht neben dem Rat eine eigenständige Behörde. Bereits 1841 wurde die städtische Gerichtsbarkeit in Wurzen verstaatlicht und an das Königliche Landgericht Wurzen abgetreten. Die vorliegenden Archivalien gelangten 1856 an das Gerichtsamt Wurzen, wobei Heinrich Johann Wilhelm Gottlob Nathusius, vorher Direktor des Landgerichtes Wurzen, zum Gerichtsamtmann berufen wurde. Über das Amtsgericht Wurzen, 1879 gebildet, gelangten die Archivalien an das Sächsische Hauptstaatsarchiv Dresden. Von dort wurden sie ab 1959 an das Staatsarchiv Leipzig abgegeben, wo der Bestand 1998 im Rahmen der Bestandgruppe provenienzgerecht getrennt und mit einem Findbuch zugänglich gemacht wurde.
Im Gegensatz zu den im Bestand "Stadt Wurzen" (Depositum) erfassten Akten sind uns von der verstaatlichten städtischen Gerichtsbarkeit nur 155 Akten überliefert. Den überwiegenden Teil bilden dabei die Testamente und Nachlässe sowie die Kaufprotokolle.
Der zeitliche Umfang der Akten reicht von 1638 bis 1841. Ältere Archivalien liegen nicht vor, da bei dem verheerenden Stadtbrand von 1637 bis auf vier Häuser alles vernichtet wurde. Weitere Gerichtsakten befinden sich im Depositalbestand "Stadt Wurzen".
Als korrespondierende Bestände sind folgende zu nutzen: "Stadt Wurzen" (Depositum), "Domkapitelgericht Wurzen", "Mühlengericht Wurzen", "Freigut Steinhof", "Königliches Landgericht Wurzen", "Gerichtsamt Wurzen", "Amtsgericht Wurzen".
Der Bestand wurde mit dem PC-Programm AUGIAS für Windows verzeichnet. Alte Signaturen wurden übernommen und eine ordnungsabhängige Signatur für den Bestand "Stadtgericht Wurzen" vergeben.
Bei Bestellung und Zitierung ist anzugeben: SächsStAL, Stadtgericht Wurzen, Nr. (fettgedruckte Ziffer).
Elke Kretzschmar
August 1998
[01] Vgl. Erich Keyser, Deutsches Städtebuch Bd. 2, Stuttgart/Berlin 1941, S. 236-238. - Vgl. Christian Schöttgen, Historie der Chur-Sächsischen Stifts-Stadt Wurtzen, Leipzig 1717, S.1-4, S.41ff.
[02] Vgl. C. Schöttgen, a. a. O., S. 15ff.
[03] Ebenda.
[04] Vgl. Staatsarchiv Leipzig Stadt , Nr 3181.
[05] Vgl. Erich Keyser, a.. a. O.
Gerichtsbücher.- Gerichtsprotokolle.- Zivilgerichtsbarkeit.- Freiwillige Gerichtsbarkeit.- Lehnsangelegenheiten.
Wurzen war eine schriftsässige Stiftsstadt und gleichzeitig Sitz eines Amts. Zum Gerichtsbezirk des Stadtrats gehörten die ummauerte Stadt zwischen den vier Toren, die Wenzelsvorstadt ohne den nördlichen Teil des Crostigalls, die "Alte Stadt" vor dem Eilenburger Tor, das Jacobsviertel vor dem Jacobstor und der Stadteil Bleiche in der Aue. Bis 1818 behielt die Stiftsregierung die Oberaufsicht über die Rechtsprechung in der Stadt. Nach der Einführung der Allgemeinen Städteordnung erhielt das bestehende Stadtgericht den Status einer eigenständigen Behörde neben dem Rat. Die städtische Gerichtsbarkeit ging nach Abtretung an den Staat am 5. April 1841 auf das Königliche Landgericht Wurzen über.
- 1998 | Findbuch / Datenbank
- 2024-02-13 | Diese Ausgabe über AWAX 2.0.1.5