Hauptinhalt

Beständeübersicht

Bestand

20688 Chemische Fabrik Delicia Delitzsch

Datierung1890 - 1972
Benutzung im Staatsarchiv Leipzig
Umfang (nur lfm)1,50
Vorbemerkung

Das vorliegende Findbuch ist das Ergebnis einer Konversion des bereits zu diesem Bestand vorhandenen maschinenschriftlichen Findbuches aus dem Jahr 1983. Ziel der Konversion war die Verbesserung der Recherchemöglichkeiten durch die Eingabe in die Erschließungsdatenbank Augias-Archiv. Dabei wurden die maschinenschriftlich vorliegenden Angaben mit nur geringfügigen Präzisierungen in die digitale Form überführt. Die im Findbuch von 1983verwendete Terminologie, welche auch die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bearbeitung widerspiegelt, blieb folglich unberührt. Dies gilt sowohl für die einzelnen Verzeichnungseinheiten als auch für die Einleitung.

Zur Geschichte der Chemischen Fabrik Delicia Delitzsch

Am 30. Ami 1817 erwarb der Apotheker Carl Christian Freyberg (1790 – 1874) für 8200 Taler die Apotheke "Zum weißen Adler" am Markt in Delitzsch. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es noch keine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende "Schädlingsbekämpfung". C. C. Freyberg begann im Jahre 1818 als Nachkomme eines alten Bauerngeschlechtes mit der manuellen Herstellung von Mäusegift für die von Schädlingen befallenen Delitzscher Felder. Da die Nachfrage rasch anwuchs, holte sich C. C. Freyberg seinen Studienfreund, den Apotheker Karl Gerns (1787 – 1875) zu seiner Unterstützung nach Delitzsch. Neben der damals üblichen Herstellung von Arzneien entwickelten sie auch Mittel gegen Ratten, Blattläuse, Wanzen und anderes Ungeziefer. Mit Vorurteilen gegen das Neue, mit finanziellen und technischen Schwierigkeiten hatte auch C. C. Freyberg zu kämpfen. Seine Energie und erfinderisches Können setzten sich jedoch immer wieder durch. 1848 übernahm sein Sohn Carl August (1820 – 1897) die Apotheke. Neben zwei Apothekern waren noch zwei Arbeiter, drei Hilfskräfte und zwei Saisonarbeiter beschäftigt. Neben Schädlingsbekämpfungsmitteln wurden in den der Apotheke angegliederten Produktionsräumen auch Tierarzneimittel hergestellt.
Im Jahre 1888 übernahm der Sohn von Carl August, Ernst Freyberg (1861 – 1925) die väterliche Apotheke und kleine Produktionsstätte. Die stürmische industrielle Entwicklung Ende des 19. Jahrhunderts hatte zur Folge, dass der Betrieb weiter ausgebaut werden konnte. Es waren 12 Mitarbeiter beschäftigt. Unter der Bezeichnung "Ernst Freyberg, Chemische Fabrik Delitia, Delitzsch" wurde das Unternehmen in das Handelsregister eingetragen. Heute noch [Stand 1983] tragen alle chemischen Erzeugnisse aus Delitzsch das international registrierte Warenzeichen "Delicia", dem abgewandelten lateinischen Wort für Delitzsch. 1890 nahm E. Freyberg eine Erweiterung seines Programmes der Schädlingsbekämpfungsmittel und Tierheilmittel vor. Anzeigen in Fachorganen und Tageszeitungen informierten in ganz Deutschland über die Präparate aus Delitzsch. In vielen Städten übernahmen Drogerien und Apotheken das Alleinverkaufsrecht für diese Erzeugnisse. Gutachten über die Wirksamkeit der Präparate liefen aus allen Teilen Deutschlands und aus vielen europäischen Ländern ein. Auch offizielle Anerkennungen blieben nicht aus. 1892 und 1893 wurden die Freybergschen Erzeugnisse auf den Weltausstellungen in Nizza bzw. London mit Ehrendiplomen und Goldmedaillen ausgezeichnet. Bereits im Jahre 1899 kamen die ersten Exportverbindungen zustande. Im gleichen Jahr ließ E. Freyberg wegen der ständig steigenden Produktion das Westgebäude der Ritterstraße 8 aufbauen. Durch Kauf des Grundstückes Ritterstraße 6 wurde zusammen mit den bereits modernisierten Bauten der Ritterstraße 8 ein geschlossener Fabrikkomplex aufgebaut und mit allen damals modernen Maschinen und Laboratorien ausgestattet. Die Tagesproduktion stieg in 12 Jahren auf das Fünfzigfache. Der Export erstreckte sich 1910 bereits auf eine große Zahl europäischer und überseeischer Länder.
Nach dem Tod von Ernst Freyberg 1925 übernahmen seine Söhne, der Chemiker Dr. Joachim Freyberg (1893 – 1959) und der Apotheker Dr. Werner Freyberg, die Leitung des Betriebes. Eine entscheidende Wendung für die Perspektive des Werkes und in der Bekämpfung von Vorratsschädlingen trat 1935 mit dem bisher verbotenen, nun aber für die gefahrlose Anwendung in der Schädlingsbekämpfung nutzbar gemachten Phosphorwasserstoff ein. Dieses Verfahren wurde später weltbekannt als "Delicia-Durchgasungsverfahren mit Phosphorwasserstoff". Viele Patente im In- und Ausland und eine breite internationale Anerkennung würdigten diese Delicia-Entwicklung.
Ab 1935 wurde mit der stufenweisen Verlagerung der Produktion in das neu errichtete Werk an der Dübener Landstraße begonnen. Die neuen Betriebsanlagen, teilweise erst während des Kriegs vollendet, blieben im zweiten Weltkrieg vor Zerstörung verschont. Während des zweiten Weltkrieges musste die betriebliche Arbeit auf neue Erzeugnisse konzentriert werden. Die Herstellung von Imprägnierungsmitteln für Kleidungsstücke spielte eine entscheidende Rolle. Eine Einbeziehung der Produktionen in die faschistische Rüstungspolitik ist nachzuweisen.
Nach der Befreiung vom Faschismus kam es auch im Betrieb Delicia zu einer Neuorientierung. Vermutlich wurde 1946 gemäß Befehle Nr. 124 und 126 der SMAD der Betrieb zeitweilig enteignet und nach entsprechender Überprüfung (1947) der Betriebsdirektoren Freyberg durch den Säuberungsausschuss von Industrie, Handel, Gewerbe sowie der freien Berufe der Landesregierung Sachsen-Anhalt nach Direktive 24 wieder zurückgegeben. Zur Überwindung der damaligen wirtschaftlichen Schwierigkeiten mussten in den Jahren nach dem Krieg vorübergehend insektizide Wirkstoffe teils unter primitiven Verhältnissen selbst hergestellt werden. Man bemühte sich in den folgenden Jahren um die selbstständige Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln. Aus dem ehemaligen Verarbeitungsbetrieb wurde nach und nach ein Herstellerbetrieb. Auf der Grundlage betriebseigener Forschungs- und Entwicklungsarbeit erfuhr nach und nach das gesamte Produktionssortiment eine Modernisierung. Zu den interessantesten Entwicklungen gehörte Texyl-Mottenschutz, mit dem Delicia neue Wege in der Mottenbekämpfung ging. Auch der erste Aerosol-Druckzerstäuber der DDR, der 1955 im Handel erschien, war ein Delicia-Erzeugnis.
Mit der Aufnahme staatlicher Beteiligung im Jahr 1958 eröffneten sich dem Betrieb neue Perspektiven. Gesellschafter war der VEB Fahlberg-List, Magdeburg. Die Modernisierung und Erweiterung der Produktionsstätte, die Konzentration und der Aufbau einer eigenen Forschungsstelle wurden ermöglicht. Seit 1962 besaß der Betrieb eine staatlich anerkannte, registrierte Forschungsstelle, die auch mit staatlichen Forschungsaufgaben betraut wurde. Dr. Werner Freyberg hatte im Jahr 1952 die Republik verlassen und Dr. Joachim Freyberg starb 1959. Den Betrieb leitete der Diplom-Landwirt Karl-Heinz Löser. Die offene Handelsgesellschaft mit staatlicher Beteiligung E. Freyberg, Chemische Fabrik Delicia, Delitzsch, war der größte Betrieb der bezirksgeleiteten chemischen Industrie im Bezirk Leipzig. 85% des Produktionsanteils waren Schädlingsbekämpfungsmittel und 15% des Anteils Arzneimittel. In solchen Erzeugnissen wie Wirkstoffe zur Nagetierbekämpfung, einigen Haushaltsinsektiziden, Meerzwiebelpräparaten u. a. war der Betrieb Alleinhersteller in der DDR. Mit 24 Ländern unterhielt der Betrieb Exportverbindungen und mit weiteren 15 Ländern gute Kontakte. Die Produktionszahlen verdreifachten, die Exportzahlen verachtfachten sich und die Arbeitsproduktivität stieg um das Doppelte seit 1958. 1967 betrug die Belegschaft 200 Mitarbeiter. Der Betrieb war jährlich auf den Leipziger Messen vertreten und stand darüber hinaus mit vielen Liefer- und Handelsbetrieben, mit staatlichen Verwaltungen und Organisationen Leipzigs in Verbindung. 1972 wurde die Firma als VEB Delicia Delitzsch verstaatlicht.
[Nachtrag 2018: Der VEB Delicia Delitzsch wurde 1981 Betrieb (ab 1985 Stammbetrieb) im neu gegründeten VEB Kombinat Chemisch-Technische Erzeugnisse Leipzig. Im Verlauf der Transformation der ostdeutschen Wirtschaft 1989/90 erfolgte bis zum 30. Juni 1990 die Abwicklung des Kombinates und zum 1. Juli 1990 die Umwandlung der Kombinatsbetriebe in eigenständige Kapitalgesellschaften. Die DELICIA GmbH im Aufbau wurde im August 1990 unter HRB 605 in das Leipziger Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Unternehmens war "der Einkauf, die Herstellung, der Verkauf und die Anwendung von chemischen und pharmazeutischen Produkten aller Art". 1997 verschmolz das seit 1993 als DELICIA GmbH Delitzsch firmierende Unternehmen mit der frunol Gesellschaft für Produktion und Vertrieb chemischer Produkte GmbH mit Sitz in Unna zur frunol delicia GmbH.[01] ]

Bestandgeschichte und -bearbeitung

Die Quellenlage kleinerer, vor 1945 bestandener Wirtschaftsunternehmen zu sichern, ist in den letzten Jahren [Stand 1983] eine Aufgabe der Staatsarchive geworden. Bei den wirtschaftlich bedeutenderen Betrieben, wie dem Ziehwerk Delitzsch, der Zuckerfabrik oder der ehemaligen Böhme AG, der Schokoladenfabrik Delitzsch, ist trotz umfangreicher Recherche kein Archivgut zu ermitteln gewesen. Um aber die sozial-ökonomische Struktur des Kreises Delitzsch im Dokumentationsprofil unseres Archivs wenigstens teilweise zu garantieren, wurde der Bestand im April 1983 von der Betriebsleitung an das Staatsarchiv Leipzig abgegeben. Der Bestand hatte einen Ausgangsbestand von 3,2 lfm und nach Abschluss der Bearbeitung 1,3 lfm. Die Gesamtheit der Quellen dokumentiert die wirtschaftliche und soziale Situation des Unternehmens von 1890 – 1972. Die chemische Fabrik Delicia hatte eine wirtschaftsführende Stellung im Bezirk Leipzig inne und erlangte Bedeutung über die Grenzen Deutschlands bzw. der DDR hinaus. Eine Bewertung am Bestand fand statt. Es wurden dabei Mehrfachüberlieferungen, Zuarbeiten, Rechnungen u. a. kassiert. Die tektonische Zuordnung erfolgte zu den Beständen der sozialistischen Gesellschaftsepoche. Eine Bestandstrennung wurde nicht vorgenommen, da die Überlieferung aus der Zeit nach 1945 quantitativ überwiegt. Auch eine Bestandstrennung mit Beginn der staatlichen Beteiligung 1958 erscheint nach § 24 der Ordnungs- und Verzeichnungsgrundsätze (OVG) nicht sinnvoll, da sich Produktionsprofil und Verwaltungsstruktur des Betriebes nicht änderten. Der zeitliche Umfang erstreckt sich auf die Jahre 1890 – 1945, 1945 – 1972. Die Dokumente waren in einem schlechten äußeren Zustand. Bei der Bearbeitung wurden fortlaufende Signaturen von 1 – 65 vergeben. Die Bearbeitung erfolgte im Mai 1983.

Überlieferungsschwerpunkte

Die chemische Fabrik Delicia in Delitzsch entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem Unternehmen, das weit über die Grenzen Deutschlands bzw. der DDR bekannt wurde. Die Erzeugnisse wurden in über 24 Länder exportiert. Im Bezirk Leipzig nimmt der Betrieb noch heute [Stand 1983] innerhalb der bezirksgeleiteten chemischen Industrie eine führende Stellung ein. Die Überlieferung ist fragmentarisch und bietet nur begrenzte Auswertungsmöglichkeiten. Ca. 3 lfm Schriftgut mit ausschließlich technischen Dokumenten sind im Verwaltungsarchiv verblieben und werden vom Registraturbildner für ökonomische und betriebliche Auswertung noch benötigt. Historische bedeutsame Quellen sind nicht überliefert. Ereignisse wie der zweite Weltkrieg und die Überwindung der Kriegsfolgen lassen sich nur ganz verallgemeinert in Verzeichnungseinheiten zu Personalangelegenheiten nachvollziehen. Gering ist auch die Überlieferung der Leitungsebene, geschlossen lediglich für die Zeit der staatlichen Beteiligung die Protokolle der Gesellschafterversammlungen. Darin lässt sich ein lückenloser Nachweis der Produktionserfüllung, der Lohnfondauslastung, der Erfüllung der Exportaufgaben u. a. Schwerpunkte der betrieblichen Entwicklung für die Jahre 1959 – 1971 bringen. Die meisten Quellen sind zur wirtschaftlichen Auswertung überliefert. Patentanmeldungen, Warenzeichenschutz, Druckschriften, Werbematerial und Kataloge über Produktionserzeugnisse, Produktionsunterlagen und absatzfragen sind hier zu nennen. Große Bedeutung hatten die Betriebsjubiläen. Das 125-, 140- und 150-jährige Bestehen wurde feierlich begangen. Sowohl eine Betriebschronik als auch persönliche Ehrungen für die Mitarbeiter und die Organisation dieser Jubiläen sind überliefert. Zu erwähnen wären noch die Finanz- und Vermögensverwaltung. Journale geben von 1926 – 1939 Einblick in die Handhabung der Bank- und Geldgeschäfte. Von 1937 bis Mitte der 1940er Jahre sind Baubeschreibungen, Wertschätzungen von Maschinen und Gebäuden vorhanden. Entsprechend dem Wert des Bestandes kann der Erschließungszustand als optimal angesehen werden.

Verweis auf korrespondierende Bestände

20713 VEB Kombinat Chemisch-Technische Erzeugnisse Leipzig


[01] Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, 20320 Amtsgericht Leipzig, digitalisierte Registerkarte zu HRB 605.
Gesellschafterversammlungen.- Betriebsjubiläen.- Personal.- Finanzen.- Absatz.
Am 30. Mai 1817 erwarb der Apotheker Carl Christian Freyberg die Apotheke "Zum weißen Adler" in Delitzsch und begann 1818 mit der Herstellung von Schädlingsbekämpfungsmitteln. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen Tierarzneimittel hinzu. 1888 wurde das Unternehmen unter der Bezeichnung "Ernst Freyberg, Chemische Fabrik Delitia, Delitzsch" in das Handelsregister eingetragen. Die Firma expandierte rasch und exportierte ihre Produkte 1910 in zahlreiche europäische und überseeische Länder. Um 1946 wurde der Betrieb zeitweilig enteignet, 1947 aber an die Familie Freyberg zurückgegeben. 1958 nahm er staatliche Beteiligung auf, Gesellschafter war der VEB Fahlberg-List, Magdeburg. Zum 1. Mai 1972 wurde die Firma als VEB Delicia Delitzsch verstaatlicht.
  • 2018 | Findbuch / Datenbank
  • 2024-11-19 | Diese Ausgabe über AWAX 2.0.1.5
Sitemap-XML zurück zum Seitenanfang