Beständeübersicht
Bestand
22310 Familiengeschichtliche Sammlungen des Reichssippenamtes, Jüdische Personenstandsunterlagen
Datierung | (1677 - 1941) 1938 - 1945 |
---|---|
Benutzung im | Staatsarchiv Leipzig |
Umfang (nur lfm) | 1,10 |
Zur Geschichte der Familiengeschichtlichen Sammlung des Reichssippenamtes, Jüdische Personenstandsunterlagen
In der Zuständigkeit des Referates Deutsche Zentralstelle für Genealogie/Sonderbestände im Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig befinden sich heute 580 Mikrofilme von jüdischen Personenstandsunterlagen, Gemeindeaufzeichnungen und Matrikeln sowie 1,1 lfm originales Archivgut jüdischer Gemeinden. Die Entstehungsgeschichte der Mikrofilme jüdischer Unterlagen ist eng verknüpft mit der inhumanen nationalsozialistischen Rassen- und Bevölkerungspolitik in der Zeit 1933 bis 1945 sowie mit der Behördengeschichte des Reichssippenamtes, entstanden 1940 aus der früheren Stelle "Sachverständiger für Rasseforschung", umbenannt 1935 in "Reichsstelle für Sippenforschung". Diese Behörde hatte seit 1933 u. a. die Aufgaben, erbbiologische Gutachten zur Feststellung der Abstammung in Zweifelsfällen zu erwirken und auf deren Grundlage sogenannte "Abstammungsbescheide" zu erstellen, im Rahmen des Schriftdenkmalschutzes genealogisch relevante Quellen zu verfilmen bzw. zu fotokopieren sowie Informationen aus genealogischen Quellen in Karteikartenform zu verarbeiten. [01] Mit dem sogenannten "Ariernachweis" war von zahlreichen Bevölkerungsteilen die "arische" Abstammung zu beweisen. Damit sollten alle die herausgefiltert und gebrandmarkt werden, die zur jüdischen Religionsgemeinschaft zählten oder von Personen abstammten, die bis in die vierte Generation zurück der jüdischen Religionsgemeinde angehört hatten. Um die Fragebögen der Nachweispflichtigen kontrollieren zu können, war von Anfang an der direkte Zugriff auf die dafür notwendigen historischen Quellen, hauptsächlich Kirchenbücher, Bürgermatrikeln, Personenstandsunterlagen und Leichenpredigten geplant.
Jüdische Personenstandsquellen staatlicher Provenienz
Zunächst griff man von Seiten des Staates auf Quellen staatlicher Provenienz zurück. Mit der Emanzipation der Juden in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte auch ihre rechtliche Gleichstellung begonnen. Damit einher gingen Bestrebungen der deutschen Staaten, ihre jüdischen Bürger für fiskalische und militärische Ziele personenstandsmäßig zu erfassen. Ab Anfang bzw. Mitte des 19. Jh. entstanden meist bei den Amtsgerichten oder Bürgermeistereien die sogenannten "Juden-Matrikeln", später die "Juden- und Dissidenten-Matrikeln", die bis zum Einsetzen des staatlichen Personenstandswesens 1874/1875 geführt wurden [02] . Aus diesem Grund ging die Reichsstelle für Sippenforschung ab 1935 in einem ersten Schritt auf die Oberlandesgerichte zu und veranlasste eine Übersicht aller in deren Einzugsbereich vorhandenen Kirchenbuchdubletten und "Juden- sowie Dissidentenmatrikeln". Dort, wo die "Judenmatrikeln" bei den Pfarrämtern oder den Bürgermeistern geführt worden waren, wurde Fehlmeldung durch die Oberlandesgerichte erteilt, so z. B. für Sachsen und Bayern. Für die Oberlandesgerichte Berlin, Breslau, Celle, Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamm, Jena, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Köln, Königsberg, Marienwerder, Naumburg Stettin, Stuttgart und Zweibrücken liegen umfangreiche Ausarbeitungen zu den in den untergeordneten Landes- und Amtsgerichten lagernden Matrikeln vor. [03] Anschließend gelangten diese Matrikeln ab 1938 systematisch aus den Amtsgerichten und den Staatsarchiven in die Reichsstelle für Sippenforschung zur Verfilmung. Eine Kamera von sechs vorhandenen arbeitete ab 1938 permanent für die Verfilmung von jüdischen Unterlagen. [04] Dabei wurden ausschließlich staatliche Quellen verfilmt. Mit 36% lieferten die Amtsgerichte und mit 19 % die Staatsarchive das umfangreichste Material ab, gefolgt von den Bürgermeister- und Landratsämtern mit 11 %. Aus kirchlichen Pfarrämtern kamen lediglich 2% der Unterlagen in die Reichsstelle zur Verfilmung. Die Masse der Mikrofilme wurde zwischen September und Dezember 1938 angefertigt.
Jüdische Quellen nichtstaatlicher Provenienz
Das besondere Augenmerk der Reichsstelle für Sippenforschung galt generell den Juden-Matrikeln und Synagogenbüchern, also Quellen nichtstaatlicher Provenienz, die bei den jüdischen Gemeinden selbst entstanden waren. Erste Anlaufstelle und begehrtes Objekt wurde das 1905 gegründete Gesamtarchiv der deutschen Juden in Berlin. Im Interesse der Sicherung und Nutzbarmachung hatten jüdische Historiker und Rabbiner sich bemüht, Archivgut kleinerer und mittlerer jüdischer Gemeinden teilweise als Deposita in Berlin zu zentralisieren. Bis März 1906 hatten bereits 20 Gemeinden ihr Archivgut hinterlegt. Von 1920 bis zu seiner Deportation 1943 leitete Jacob Jacobson (1888 – 1968) das Archiv. Bis 1926 hatten 344 jüdische Gemeinden ihr Archivgut abgegeben, wobei der Schwerpunkt auf Posen, Schlesien, Westpreußen, Hessen, Bayern und Berlin lag. Mit der Zunahme des Interesses an der eigenen Familiengeschichte war schon 1910 im Gesamtarchiv eine eigene genealogische Abteilung eingerichtet worden. Diese akquirierte nach 1933 verstärkt solche jüdischen Quellen, die zu jüdischen Taufen, Trauungen und Sterbefällen konkret Auskunft geben konnten, wie Mohelbücher, Memorbücher, Gräber- und Friedhofverzeichnisse. Seit 1936 wurde von der Reichsstelle für Sippenforschung verlangt, dass sich das Gesamtarchiv der deutschen Juden für Zuarbeiten zu etwaigen Abstammungsbescheiden bereit hielt und entsprechende Auskünfte erteilte. Die Analyse der Filmprotokolle ergab den eindeutigen Befund, dass es nicht den Tatsachen entspricht, dass insbesondere nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 verstärkt konfiszierte Akten und Unterlagen aus den geschändeten jüdischen Gemeinden zur Verfilmung nach Berlin kamen. Erst am 6. April 1939 wurde in den beschlagnahmten Räumen der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde in der Oranienburger Str. 28 die "Zentralstelle für jüdische Personenstandsregister" bei der Reichsstelle für Sippenforschung eingerichtet, die gleichzeitig als Sammelstelle für die genannten konfiszierten Gemeindeunterlagen fungierte. In einer Meldung vom 22. Mai 1941 gab das Reichssippenamt dem Reichsinnenministerium bekannt, dass nunmehr ein Bestand von 3.800 Bänden aus 1.055 jüdischen Gemeinden archiviert war. [05] Bis zur Deportation von Jacobsohn am 7. Mai 1943 nach Theresienstadt waren ständig weitere Archivalien, nunmehr aus "verwaisten" (sic!) Gemeinden, nach Berlin überführt worden, aus denen ständig Auskünfte zu geben waren. In der zweiten Jahreshälfte 1943 wurde dann das gesamte jüdische Archivgut von Berlin nach Schloss Rathsfeld in Thüringen verbracht, da man es vor der Vernichtung durch Bombenangriffe schützen wollte. Dort begannen am 6. November 1944 umfangreiche Verfilmungsarbeiten, die von der bereits seit Mai 1941 für das RSA tätigen Firma Heinrich Gatermann aus Duisburg-Hamborn durchgeführt wurden. Von November 1944 bis April 1945 wurden vom Ehepaar Gatermann persönlich ca. 3400 Filme von Dokumenten aus jüdischen Gemeindearchiven erstellt. Die Qualität der Filme ist sehr schlecht, da offensichtlich die technischen Möglichkeiten bescheiden waren. Da die originalen jüdischen Gemeindeunterlagen und Matrikeln nach dem Krieg verschollen blieben, sind diese Filme heute die einzige Quelle zu weiteren genealogischen Nachforschungen für die Zeit vor 1800.
Bestandsgeschichte und –bearbeitung
Bis Mai 1945 noch auf Schloss Rathsfeld untergebracht, wurde der Teil mit staatlichen Dokumentenabbildungen mit Genehmigung der Sowjetischen Militäradministration von Paul Langheinrich, einem Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage/ Mormonen, geborgen, 1946 nach Eibenstock und 1948 nach Berlin transportiert. Als Teil des "Deutschen Zentralarchivs für Genealogie in Berlin" waren diese Filme dem Ministerium für Volksbildung unterstellt, jedoch standen sie nicht für eine direkte Nutzung zur Verfügung. Auch als am 2. Mai 1950 die Abgabe an das Deutsche Zentralarchiv Potsdam verfügt wurde und damit die Unterstellung unter das Ministerium des Innern der DDR erfolgte, war an eine Nutzbarmachung noch nicht zu denken. Erst nach Abgabe der Filme an das Landesarchiv Leipzig 1965 und mit der Eröffnung des Spezialarchivs "Zentralstelle für Genealogie in der DDR" 1967 konnten diese Filme wieder genutzt werden. Einschränkungen gab es dann von 1975 bis 1988, da die alten Filme wegen Materialzersetzung auf modernes Filmmaterial umkopiert werden mussten. Der Teil von Filmen, der unmittelbar 1944 und 1945 durch die Firma Gatermann erstellt worden war, wurde unentwickelt unter größten Schwierigkeiten nach Duisburg verbracht. Die Firma Gatermann beanspruchte das Eigentumsrecht an den Filmen, da bis zuletzt keine Materialkosten vom RSA bezahlt worden waren. Anschließend wurden diese Filme im Sommer 1947 den einzelnen westdeutschen Ländern zum Kauf angeboten. Die Filme zu den jüdischen Gemeinden auf dem Gebiet der damaligen sowjetischen Besatzungszone sowie auf dem Gebiet der ehemaligen preußischen Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Schlesien und Posen wurden vom Bundesarchiv erworben. [06] Diese Filme des Bundesarchivs wurden 2010 dem Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Referat Deutsche Zentralstelle für Genealogie/Sonderbestände übergeben.
Hinweise zur Ordnung und Verzeichnung
Eine erste Bestandsübersicht wurde von Renate Jude, Mitarbeiterin des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig, 1998 auf der Grundlage der noch in Potsdam 1953 erarbeiteten Findmittel in der Zeitschrift Genealogie publiziert. [07] Dabei wurden zahlreiche Stichproben zur Überprüfung der inhaltlichen und regionalen Zuordnung durchgeführt. Filme, die beim Umkopieren 1975 wegen Brandschäden als unlesbar aussortiert worden waren, mussten aus dem Verzeichnis gelöscht werden. [08] Im Zusammenhang mit der Retrokonversion der Daten wurde die vorgefundene Ordnung beibehalten. Alle Filme behielten die Signaturen, die sie bei der Aufnahme erhalten hatten. Diese Signaturen setzen sich aus einem oder zwei Kennbuchstaben und einer fortlaufenden Nummer zusammen. Zu jedem Film bzw. jeder Kopie wurde ein Filmverzeichnungsblatt angelegt, das über Aufbewahrungsort, Inhalt, zeitlichen Umfang, Qualität der Quelle zum Zeitpunkt der Verfilmung sowie über Besonderheiten des Originals Auskunft gibt. Überprüfungen dieser Angaben waren zu den Laufzeiten, den Kreiszugehörigkeiten, dem Vorhandensein von Registern sowie zu Ortsbetreffen notwendig. Die Retrokonversion des Bestandes wurde 2010 von Frau Lore-Christine Jaschke vorgenommen; die inhaltliche und redaktionelle Überprüfung und die Erstellung der vorliegenden Einleitung wurden 2013 durch Martina Wermes abgeschlossen. Nunmehr umfasst der Bestand 2372 Datensätze mit einer zeitlichen schwerpunktmäßigen Überlieferung von 1677 bis 1941.
Hinweise für die Benutzung
Grundlage des Ordnungsschemas bildete ebenfalls die vorgefundene Ordnung nach Ländern und Provinzen des Deutschen Reiches in den Grenzen und Kreiszugehörigkeiten von 1912. Innerhalb dieser geografischen Zuordnung wurde nachfolgend chronologisch geordnet, so dass sehr schnell sichtbar wird, ob für den benötigten Zeitraum relevante Unterlagen vorhanden sind oder nicht. Diesem Ordnungsprinzip wurde vor einer sachlich-thematischen Gliederung nach Geburten, Heiraten und Sterbefällen der Vorzug gegeben.
Da in dieser Geschlossenheit der Bestand an jüdischen Personenstands- und Gemeindeunterlagen überregionale Bedeutung hat, wurden Kopien der Mikroverfilmungen bereits 1982 und 1983 an die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen) abgegeben und sind über deren Forschungsstellen einsehbar.
Martina Wermes
März 2014
[01] Vgl. Schulle, Diana, Das Reichssippenamt. Eine Institution nationalsozialistischer Rassenpolitik. Berlin 2001, S. 82f.
[02] Siehe auch Rade, Hans Jürgen, Jüdische Personenstandseinträge und Familienregister in katholischen Kirchenbüchern des Herzogtums Westfalen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Beiträge zur westfälischen Familienforschung, Münster 67 (2009).
[03] Sächsisches Staatsarchiv, StA-L ( im Folgenden: StA-L), Bestand 22310, Familiengeschichtliche Sammlungen des Reichssippenamtes, Jüdische Personenstandsunterlagen, Nr. AS 343-345.
[04] Vgl. Schulle, Diana, wie Anmerkung 1, S. 217.
[05] Zitiert nach Schenk, Tobias, Juden- und Dissidentenregister des 19. Jahrhunderts aus Westfalen und Lippe. Eine archiv- und bestandsgeschichtliche Einführung. In: Westfälische Forschungen 60 (2010), S. 608.
[06] 1955 beauftragten die "Jewish Historical General Archives" in Jerusalem als Vorgänger der "Central Archives for the History of the Jewish People" (CAHJP) die Firma Gatermann, Abzüge aller von ihr gefertigten Filme herzustellen. Diese Kopien befinden sich heute in der Serie G 5 im CAHJP. Auch im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main ist ein Teil dieser Gatermann-Filme in Kopie vorhanden, da hier der Nachlass des Rabbiners und Historikers Bernhard Brilling (1906 – 1987) verwahrt wird, der im Rahmen seiner Tätigkeit an der Westfälischen Wilhelms - Universität Münster Kopien der im Bundesarchiv archivierten Mikrofilme erhalten hatte.
[07] Jude, Renate, Die jüdischen Personenstandsunterlagen in der Deutschen Zentralstelle für Genealogie in Leipzig. In: Genealogie H. 1/2 (1998), S. 4-18 und H. 3/4 (1998), S. 106 – 120.
[08] Beim Umkopieren 1975 wurde festgestellt, dass zahlreiche AS-Filme der Signaturen 1 bis 500 wegen Brandschäden unlesbar geworden waren, darunter auch 48 Filme zu jüdischen Gemeinden. Die Löschung betrifft auch die Information zu Jüdischen Geburten und Sterbefällen in der Gemeinde Altenlotheim, Kr. Frankenberg (AS 300).
In der Zuständigkeit des Referates Deutsche Zentralstelle für Genealogie/Sonderbestände im Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig befinden sich heute 580 Mikrofilme von jüdischen Personenstandsunterlagen, Gemeindeaufzeichnungen und Matrikeln sowie 1,1 lfm originales Archivgut jüdischer Gemeinden. Die Entstehungsgeschichte der Mikrofilme jüdischer Unterlagen ist eng verknüpft mit der inhumanen nationalsozialistischen Rassen- und Bevölkerungspolitik in der Zeit 1933 bis 1945 sowie mit der Behördengeschichte des Reichssippenamtes, entstanden 1940 aus der früheren Stelle "Sachverständiger für Rasseforschung", umbenannt 1935 in "Reichsstelle für Sippenforschung". Diese Behörde hatte seit 1933 u. a. die Aufgaben, erbbiologische Gutachten zur Feststellung der Abstammung in Zweifelsfällen zu erwirken und auf deren Grundlage sogenannte "Abstammungsbescheide" zu erstellen, im Rahmen des Schriftdenkmalschutzes genealogisch relevante Quellen zu verfilmen bzw. zu fotokopieren sowie Informationen aus genealogischen Quellen in Karteikartenform zu verarbeiten. [01] Mit dem sogenannten "Ariernachweis" war von zahlreichen Bevölkerungsteilen die "arische" Abstammung zu beweisen. Damit sollten alle die herausgefiltert und gebrandmarkt werden, die zur jüdischen Religionsgemeinschaft zählten oder von Personen abstammten, die bis in die vierte Generation zurück der jüdischen Religionsgemeinde angehört hatten. Um die Fragebögen der Nachweispflichtigen kontrollieren zu können, war von Anfang an der direkte Zugriff auf die dafür notwendigen historischen Quellen, hauptsächlich Kirchenbücher, Bürgermatrikeln, Personenstandsunterlagen und Leichenpredigten geplant.
Jüdische Personenstandsquellen staatlicher Provenienz
Zunächst griff man von Seiten des Staates auf Quellen staatlicher Provenienz zurück. Mit der Emanzipation der Juden in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte auch ihre rechtliche Gleichstellung begonnen. Damit einher gingen Bestrebungen der deutschen Staaten, ihre jüdischen Bürger für fiskalische und militärische Ziele personenstandsmäßig zu erfassen. Ab Anfang bzw. Mitte des 19. Jh. entstanden meist bei den Amtsgerichten oder Bürgermeistereien die sogenannten "Juden-Matrikeln", später die "Juden- und Dissidenten-Matrikeln", die bis zum Einsetzen des staatlichen Personenstandswesens 1874/1875 geführt wurden [02] . Aus diesem Grund ging die Reichsstelle für Sippenforschung ab 1935 in einem ersten Schritt auf die Oberlandesgerichte zu und veranlasste eine Übersicht aller in deren Einzugsbereich vorhandenen Kirchenbuchdubletten und "Juden- sowie Dissidentenmatrikeln". Dort, wo die "Judenmatrikeln" bei den Pfarrämtern oder den Bürgermeistern geführt worden waren, wurde Fehlmeldung durch die Oberlandesgerichte erteilt, so z. B. für Sachsen und Bayern. Für die Oberlandesgerichte Berlin, Breslau, Celle, Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamm, Jena, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Köln, Königsberg, Marienwerder, Naumburg Stettin, Stuttgart und Zweibrücken liegen umfangreiche Ausarbeitungen zu den in den untergeordneten Landes- und Amtsgerichten lagernden Matrikeln vor. [03] Anschließend gelangten diese Matrikeln ab 1938 systematisch aus den Amtsgerichten und den Staatsarchiven in die Reichsstelle für Sippenforschung zur Verfilmung. Eine Kamera von sechs vorhandenen arbeitete ab 1938 permanent für die Verfilmung von jüdischen Unterlagen. [04] Dabei wurden ausschließlich staatliche Quellen verfilmt. Mit 36% lieferten die Amtsgerichte und mit 19 % die Staatsarchive das umfangreichste Material ab, gefolgt von den Bürgermeister- und Landratsämtern mit 11 %. Aus kirchlichen Pfarrämtern kamen lediglich 2% der Unterlagen in die Reichsstelle zur Verfilmung. Die Masse der Mikrofilme wurde zwischen September und Dezember 1938 angefertigt.
Jüdische Quellen nichtstaatlicher Provenienz
Das besondere Augenmerk der Reichsstelle für Sippenforschung galt generell den Juden-Matrikeln und Synagogenbüchern, also Quellen nichtstaatlicher Provenienz, die bei den jüdischen Gemeinden selbst entstanden waren. Erste Anlaufstelle und begehrtes Objekt wurde das 1905 gegründete Gesamtarchiv der deutschen Juden in Berlin. Im Interesse der Sicherung und Nutzbarmachung hatten jüdische Historiker und Rabbiner sich bemüht, Archivgut kleinerer und mittlerer jüdischer Gemeinden teilweise als Deposita in Berlin zu zentralisieren. Bis März 1906 hatten bereits 20 Gemeinden ihr Archivgut hinterlegt. Von 1920 bis zu seiner Deportation 1943 leitete Jacob Jacobson (1888 – 1968) das Archiv. Bis 1926 hatten 344 jüdische Gemeinden ihr Archivgut abgegeben, wobei der Schwerpunkt auf Posen, Schlesien, Westpreußen, Hessen, Bayern und Berlin lag. Mit der Zunahme des Interesses an der eigenen Familiengeschichte war schon 1910 im Gesamtarchiv eine eigene genealogische Abteilung eingerichtet worden. Diese akquirierte nach 1933 verstärkt solche jüdischen Quellen, die zu jüdischen Taufen, Trauungen und Sterbefällen konkret Auskunft geben konnten, wie Mohelbücher, Memorbücher, Gräber- und Friedhofverzeichnisse. Seit 1936 wurde von der Reichsstelle für Sippenforschung verlangt, dass sich das Gesamtarchiv der deutschen Juden für Zuarbeiten zu etwaigen Abstammungsbescheiden bereit hielt und entsprechende Auskünfte erteilte. Die Analyse der Filmprotokolle ergab den eindeutigen Befund, dass es nicht den Tatsachen entspricht, dass insbesondere nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 verstärkt konfiszierte Akten und Unterlagen aus den geschändeten jüdischen Gemeinden zur Verfilmung nach Berlin kamen. Erst am 6. April 1939 wurde in den beschlagnahmten Räumen der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde in der Oranienburger Str. 28 die "Zentralstelle für jüdische Personenstandsregister" bei der Reichsstelle für Sippenforschung eingerichtet, die gleichzeitig als Sammelstelle für die genannten konfiszierten Gemeindeunterlagen fungierte. In einer Meldung vom 22. Mai 1941 gab das Reichssippenamt dem Reichsinnenministerium bekannt, dass nunmehr ein Bestand von 3.800 Bänden aus 1.055 jüdischen Gemeinden archiviert war. [05] Bis zur Deportation von Jacobsohn am 7. Mai 1943 nach Theresienstadt waren ständig weitere Archivalien, nunmehr aus "verwaisten" (sic!) Gemeinden, nach Berlin überführt worden, aus denen ständig Auskünfte zu geben waren. In der zweiten Jahreshälfte 1943 wurde dann das gesamte jüdische Archivgut von Berlin nach Schloss Rathsfeld in Thüringen verbracht, da man es vor der Vernichtung durch Bombenangriffe schützen wollte. Dort begannen am 6. November 1944 umfangreiche Verfilmungsarbeiten, die von der bereits seit Mai 1941 für das RSA tätigen Firma Heinrich Gatermann aus Duisburg-Hamborn durchgeführt wurden. Von November 1944 bis April 1945 wurden vom Ehepaar Gatermann persönlich ca. 3400 Filme von Dokumenten aus jüdischen Gemeindearchiven erstellt. Die Qualität der Filme ist sehr schlecht, da offensichtlich die technischen Möglichkeiten bescheiden waren. Da die originalen jüdischen Gemeindeunterlagen und Matrikeln nach dem Krieg verschollen blieben, sind diese Filme heute die einzige Quelle zu weiteren genealogischen Nachforschungen für die Zeit vor 1800.
Bestandsgeschichte und –bearbeitung
Bis Mai 1945 noch auf Schloss Rathsfeld untergebracht, wurde der Teil mit staatlichen Dokumentenabbildungen mit Genehmigung der Sowjetischen Militäradministration von Paul Langheinrich, einem Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage/ Mormonen, geborgen, 1946 nach Eibenstock und 1948 nach Berlin transportiert. Als Teil des "Deutschen Zentralarchivs für Genealogie in Berlin" waren diese Filme dem Ministerium für Volksbildung unterstellt, jedoch standen sie nicht für eine direkte Nutzung zur Verfügung. Auch als am 2. Mai 1950 die Abgabe an das Deutsche Zentralarchiv Potsdam verfügt wurde und damit die Unterstellung unter das Ministerium des Innern der DDR erfolgte, war an eine Nutzbarmachung noch nicht zu denken. Erst nach Abgabe der Filme an das Landesarchiv Leipzig 1965 und mit der Eröffnung des Spezialarchivs "Zentralstelle für Genealogie in der DDR" 1967 konnten diese Filme wieder genutzt werden. Einschränkungen gab es dann von 1975 bis 1988, da die alten Filme wegen Materialzersetzung auf modernes Filmmaterial umkopiert werden mussten. Der Teil von Filmen, der unmittelbar 1944 und 1945 durch die Firma Gatermann erstellt worden war, wurde unentwickelt unter größten Schwierigkeiten nach Duisburg verbracht. Die Firma Gatermann beanspruchte das Eigentumsrecht an den Filmen, da bis zuletzt keine Materialkosten vom RSA bezahlt worden waren. Anschließend wurden diese Filme im Sommer 1947 den einzelnen westdeutschen Ländern zum Kauf angeboten. Die Filme zu den jüdischen Gemeinden auf dem Gebiet der damaligen sowjetischen Besatzungszone sowie auf dem Gebiet der ehemaligen preußischen Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Schlesien und Posen wurden vom Bundesarchiv erworben. [06] Diese Filme des Bundesarchivs wurden 2010 dem Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Referat Deutsche Zentralstelle für Genealogie/Sonderbestände übergeben.
Hinweise zur Ordnung und Verzeichnung
Eine erste Bestandsübersicht wurde von Renate Jude, Mitarbeiterin des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig, 1998 auf der Grundlage der noch in Potsdam 1953 erarbeiteten Findmittel in der Zeitschrift Genealogie publiziert. [07] Dabei wurden zahlreiche Stichproben zur Überprüfung der inhaltlichen und regionalen Zuordnung durchgeführt. Filme, die beim Umkopieren 1975 wegen Brandschäden als unlesbar aussortiert worden waren, mussten aus dem Verzeichnis gelöscht werden. [08] Im Zusammenhang mit der Retrokonversion der Daten wurde die vorgefundene Ordnung beibehalten. Alle Filme behielten die Signaturen, die sie bei der Aufnahme erhalten hatten. Diese Signaturen setzen sich aus einem oder zwei Kennbuchstaben und einer fortlaufenden Nummer zusammen. Zu jedem Film bzw. jeder Kopie wurde ein Filmverzeichnungsblatt angelegt, das über Aufbewahrungsort, Inhalt, zeitlichen Umfang, Qualität der Quelle zum Zeitpunkt der Verfilmung sowie über Besonderheiten des Originals Auskunft gibt. Überprüfungen dieser Angaben waren zu den Laufzeiten, den Kreiszugehörigkeiten, dem Vorhandensein von Registern sowie zu Ortsbetreffen notwendig. Die Retrokonversion des Bestandes wurde 2010 von Frau Lore-Christine Jaschke vorgenommen; die inhaltliche und redaktionelle Überprüfung und die Erstellung der vorliegenden Einleitung wurden 2013 durch Martina Wermes abgeschlossen. Nunmehr umfasst der Bestand 2372 Datensätze mit einer zeitlichen schwerpunktmäßigen Überlieferung von 1677 bis 1941.
Hinweise für die Benutzung
Grundlage des Ordnungsschemas bildete ebenfalls die vorgefundene Ordnung nach Ländern und Provinzen des Deutschen Reiches in den Grenzen und Kreiszugehörigkeiten von 1912. Innerhalb dieser geografischen Zuordnung wurde nachfolgend chronologisch geordnet, so dass sehr schnell sichtbar wird, ob für den benötigten Zeitraum relevante Unterlagen vorhanden sind oder nicht. Diesem Ordnungsprinzip wurde vor einer sachlich-thematischen Gliederung nach Geburten, Heiraten und Sterbefällen der Vorzug gegeben.
Da in dieser Geschlossenheit der Bestand an jüdischen Personenstands- und Gemeindeunterlagen überregionale Bedeutung hat, wurden Kopien der Mikroverfilmungen bereits 1982 und 1983 an die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen) abgegeben und sind über deren Forschungsstellen einsehbar.
Martina Wermes
März 2014
[01] Vgl. Schulle, Diana, Das Reichssippenamt. Eine Institution nationalsozialistischer Rassenpolitik. Berlin 2001, S. 82f.
[02] Siehe auch Rade, Hans Jürgen, Jüdische Personenstandseinträge und Familienregister in katholischen Kirchenbüchern des Herzogtums Westfalen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In: Beiträge zur westfälischen Familienforschung, Münster 67 (2009).
[03] Sächsisches Staatsarchiv, StA-L ( im Folgenden: StA-L), Bestand 22310, Familiengeschichtliche Sammlungen des Reichssippenamtes, Jüdische Personenstandsunterlagen, Nr. AS 343-345.
[04] Vgl. Schulle, Diana, wie Anmerkung 1, S. 217.
[05] Zitiert nach Schenk, Tobias, Juden- und Dissidentenregister des 19. Jahrhunderts aus Westfalen und Lippe. Eine archiv- und bestandsgeschichtliche Einführung. In: Westfälische Forschungen 60 (2010), S. 608.
[06] 1955 beauftragten die "Jewish Historical General Archives" in Jerusalem als Vorgänger der "Central Archives for the History of the Jewish People" (CAHJP) die Firma Gatermann, Abzüge aller von ihr gefertigten Filme herzustellen. Diese Kopien befinden sich heute in der Serie G 5 im CAHJP. Auch im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main ist ein Teil dieser Gatermann-Filme in Kopie vorhanden, da hier der Nachlass des Rabbiners und Historikers Bernhard Brilling (1906 – 1987) verwahrt wird, der im Rahmen seiner Tätigkeit an der Westfälischen Wilhelms - Universität Münster Kopien der im Bundesarchiv archivierten Mikrofilme erhalten hatte.
[07] Jude, Renate, Die jüdischen Personenstandsunterlagen in der Deutschen Zentralstelle für Genealogie in Leipzig. In: Genealogie H. 1/2 (1998), S. 4-18 und H. 3/4 (1998), S. 106 – 120.
[08] Beim Umkopieren 1975 wurde festgestellt, dass zahlreiche AS-Filme der Signaturen 1 bis 500 wegen Brandschäden unlesbar geworden waren, darunter auch 48 Filme zu jüdischen Gemeinden. Die Löschung betrifft auch die Information zu Jüdischen Geburten und Sterbefällen in der Gemeinde Altenlotheim, Kr. Frankenberg (AS 300).
Wermes, M., Vom Reichssippenamt verfilmte jüdische Personenstandsregister und Matrikeln im Sächsischen Staatsarchiv, In: Journal Juden in Sachsen, Leipzig 2012, S. 34 -53.
Wermes, M. Jüdische Personenstandsregister verfilmt! In: Computergenealogie 1 (2013), S. 12-14.
Wermes, M. Jüdische Personenstandsregister verfilmt! In: Computergenealogie 1 (2013), S. 12-14.
580 Mikrofilme.- 1,1 lfm originale jüdische Personenstandsunterlagen.
Im Ergebnis der Tätigkeit des früheren Reichssippenamtes mit der Vorläufereinrichtung Reichsstelle für Sippenforschung (vgl. Ausführungen bei Bestand 21962 Familiengeschichtliche Sammlungen des Reichssippenamtes, Kirchenbücher) sind auch 580 Mikrofilme von jüdischen Personenstandsunterlagen, Gemeindeaufzeichnungen und Matrikeln sowie 1,1 lfm originales Archivgut jüdischer Gemeinden überliefert. Ab Anfang bzw. Mitte des 19. Jh. entstanden im Zuge der Emanzipation und rechtlichen Gleichstellung der Juden in Deutschland meist bei den Amtsgerichten oder Bürgermeistereien die sogenannten "Juden-Matrikeln", später die "Juden- und Dissidenten-Matrikeln", die bis zum Einsetzen des staatlichen Personenstandswesens 1874/1875 geführt wurden. Die Reichsstelle für Sippenforschung begann ab 1938, diese jüdischen Matrikeln aus den Amtsgerichten und den Staatsarchiven zu verfilmen. Seit 1936 wurde von der Reichsstelle außerdem verlangt, dass sich das Gesamtarchiv der deutschen Juden, das seit 1905 in Berlin eingerichtet worden war, für Zuarbeiten zu etwaigen Abstammungsbescheiden bereit hielt. Im April 1939 wurde in den beschlagnahmten Räumen der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde in der Oranienburger Str. 28 die "Zentralstelle für jüdische Personenstandsregister" bei der Reichsstelle für Sippenforschung eingerichtet, die gleichzeitig als Sammelstelle für konfiszierte Gemeindeunterlagen fungierte. In der zweiten Jahreshälfte 1943 wurde das gesamte jüdische Archivgut nach Schloss Rathsfeld in Thüringen verbracht, um es vor der Vernichtung durch Bombenangriffe zu schützen. Dort begannen im November 1944 Verfilmungsarbeiten, die von der Firma Heinrich Gatermann aus Duisburg-Hamborn durchgeführt wurden. Die Qualität der Filme ist sehr schlecht, da offensichtlich die technischen Möglichkeiten unzureichend waren. Da die originalen jüdischen Gemeindeunterlagen und Matrikeln nach dem Krieg verschollen blieben, sind diese Filme heute die einzige Quelle zu weiteren genealogischen Nachforschungen für die Zeit vor 1800. Im Sommer 1947 wurden die sogenannten Gatermann-Filme den einzelnen westdeutschen Ländern zum Kauf angeboten. Die Filme zu den jüdischen Gemeinden auf dem Gebiet der damaligen sowjetischen Besatzungszone sowie auf dem Gebiet der ehemaligen preußischen Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Schlesien und Posen waren vom Bundesarchiv erworben worden und wurden 2010 dem Sächsischen Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Referat Deutsche Zentralstelle für Genealogie/Sonderbestände übergeben.
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- 2024-02-13 | Diese Ausgabe über AWAX 2.0.1.5