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Beständeübersicht

Bestand

10087 Juristenfakultät Wittenberg als Spruchkollegium

Datierung1575 - 1815
Benutzung im Hauptstaatsarchiv Dresden
Umfang (nur lfm)31,60
Geschichte der Juristenfakultät Wittenberg

Die Universität Wittenberg wurde 1502 unter der Herrschaft des sächsischen Kurfürsten Friedrich III. gegründet. Mit der Gründung begann auch die Gutachtertätigkeit der Wittenberger Rechtsgelehrten. Bei der Bildung der juristischen Fakultät diente die juristische Fakultät Tübingen als Vorbild. Als erste Juristen erscheinen in der Wittenberger Matrikel des Gründungssemesters der Tübinger Doktor Wolfgang Stähelin und Ambrosius Volland. Stähelin wurde dann auch erster Dekan der Wittenberger Juristenfakultät.

In den ersten Jahrzehnten bestimmten Einzelgutachten der Fakultätsmitglieder die rechtspraktische Arbeit der Wittenberger Juristenfakultät. Durch eine besondere Anordnung von 1529, die die Aktenversendung an ein kursächsisches Spruchkollegium gesetzlich vorschrieb, wurde die Wittenberger Juristenfakultät zur Gutachtertätigkeit für die kursächsischen Gerichte verpflichtet. Sie erteilte seitdem Gutachten zu Gerichtsurteilen und verfasste Urteile auf nahezu allen Rechtsgebieten.

Mit der Ausweitung der Gutachtertätigkeit und dem Aufkommen der Aktenversendung wuchsen seit etwa 1530 die Anforderungen an die Wittenberger Juristenfakultät. Um diesen gerecht zu werden, entwickelte sie sich zu einem Spruchkollegium, das eine bestimmte Verfassung besaß und ein besonderes Verfahren bei der Bearbeitung der Rechtsfragen und Akten anwandte. Die Anpassung an die praktischen Erfordernisse schlug sich in den neuen Fakultätsstatuten von 1560 nieder.

Danach gehörten zum Spruchkollegium sieben Personen: fünf ordentliche Professuren (der Professor des Kirchenrechts als Ordinarius, zwei Professoren der Digesten, der Professor des Codex und der Professor der Institutionen) und zwei weitere Fakultätsmitglieder. An der Spitze des Spruchkollegiums wie auch der gesamten Fakultät stand der halbjährlich wechselnde Dekan, wobei dieser schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts seine führende Position im Spruchkollegium an den Ordinarius zu verlieren begann. Offiziell wurde die Leitung der Spruchtätigkeit 1668 auf den Ordinarius übertragen, während der Dekan weiter Vorsteher der Fakultät blieb. Damit vollzog die Wittenberger Juristenfakultät einen Übergang von der Dekanats- zur Ordinariatsverfassung. Der Ordinarius wurde unmittelbar vom Kurfürsten und ohne Vorschlagsrecht der Universität auf Lebenszeit eingesetzt.

Die Besonderheit der Verfassung der Wittenberger Juristenfakultät lag in ihrer engen Verflechtung mit dem Wittenberger Hofgericht, denn die Beisitzerfunktion in den territorialstaatlichen Hofgerichten war neben der Spruchtätigkeit das zweite große rechtspraktische Betätigungsfeld der juristischen Professoren. Die Hofgerichtsordnung von 1529 schrieb die Verbindung zwischen beiden Institutionen für die nächsten drei Jahrhunderte fest. So gehörten seitdem acht Adlige und vier gelehrte Juristen dem Hofgericht an, wobei die neue Ordnung die gelehrten Beisitzer ermächtigte, außerhalb der ordentlichen Hofgerichtstermine Rechtssachen zu entscheiden und Gutachten anzufertigen. Damit wurde neben der Juristenfakultät als zweites Spruchkollegium der Schöffenstuhl geschaffen. Die fünf ordentlichen Professoren waren demnach gleichzeitig Beisitzer des Spruchkollegiums der Juristenfakultät, des Schöffenstuhls und des Hofgerichts.

Wie andere Juristenfakultäten und Schöffenstühle wurden auch die Wittenberger Spruchkollegien von Territorialfürsten und deren Behörden, Adligen, und deren Gerichten, kirchlichen Einrichtungen, Beamten, Geistlichen, Universitäten, Handwerkerinnungen, Einzelpersonen u.a. um die Anfertigung von Urteilen und Gutachten gebeten. Bei der Erstellung der Urteile und Gutachten wurde nach folgendem Verfahren vorgegangen: Die Akten mit dem Anschreiben wurden nach Wittenberg gebracht. Nach Registrierung des Akteneingangs wurden diese den Fakultäts- bzw. Schöffenstuhlmitgliedern der Reihe nach zur Bearbeitung übergeben. In einer der nächsten Sitzungen des Spruchkollegiums trug das betreffende Mitglied das juristische Problem vor und unterbreitete seinen Urteilsvorschlag, der diskutiert und durch Abstimmung beschlossen wurde. Das Verfahren und die Abstimmung leitete zunächst der Dekan, ab 1668 der auf Lebenszeit eingesetzte Ordinarius. Die Konzepte übertrug der Protonotar bzw. Aktuar in Reinschrift, siegelte sie und sorgte für die Rücksendung von Spruch und Akten. Die Konzepte verblieben in Wittenberg.

Das Tätigkeitsgebiet der Wittenberger Spruchkollegien lässt sich grob mit Königsberg im Nordosten, Breslau im Südosten, Regensburg im Süden, Frankfurt a.M. im Südwesten und Aurich im Nordwesten eingrenzen. Innerhalb dieses Gebietes hoben sich folgende Landschaften als Schwerpunkte ab: Kursachsen, die thüringischen Fürstentümer, Anhalt, das Erzstift Magdeburg, Braunschweig-Lüneburg, Pommern und Mecklenburg.

Den Tiefpunkt ihrer Spruchtätigkeit erlebte die Wittenberger Juristenfakultät in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, den Höhepunkt im 18. Jahrhundert.

Im Ergebnis von territorialen Festlegungen des Wiener Kongresses wurden 1817 die Universitäten Wittenberg und Halle vereinigt und der Lehrbetrieb in Wittenberg eingestellt. Damit endete faktisch die Verbindung der Wittenberger Universität mit den kurfürstlichen Rechtsprechungsbehörden. Bereits 1815 erfolgte die Auflösung der Juristenfakultät. Der letzte erhaltene Spruch der Juristenfakultät wurde im Mai 1813 in Schmiedeberg ausgefertigt, wohin Fakultät und Schöffenstuhl angesichts der drohenden Beschießung der Festung Wittenberg verlegt worden waren.Bestandsinhalt

Der Bestand enthält ausschließlich Urteilsbücher. Bei diesen handelt es sich um die in der Regel jahresweise gesammelten und gebundenen Urteils- und Gutachtenentwürfe der Mitglieder der Juristenfakultät. Daneben liegen auch einige Urteilsbücher des Wittenberger Schöppenstuhls vor. In einigen Urteilsbüchern, die auf dem Titelblatt nur einen Verfasser nennen, sind auch von anderen Mitgliedern entworfene Konzepte enthalten. Häufig sind die Konzepte eines Verfassers aus mehreren Jahren zu einem Buch zusammengebunden. Auf den Konzepten sind in der Regel das Datum des Akteneingangs, das Datum der Sitzung, die Namen der anwesenden Professoren, die Spruchgebühr und der Adressat des Spruches vermerkt.

Die Mehrzahl der Fakultäts- und Schöffenstuhlsprüche wurde während der gesamten Zeit der Wittenberger Spruchtätigkeit in Briefform abgefasst. Für diese Form sind die einleitende Grußformel, die Spruchformel im Namen des Spruchkollegiums und der Frage-Antwort-Stil kennzeichnend, wobei die Sprüche der Juristenfakultät denen des Schöffenstuhls bis auf die unterschiedliche Spruchformel gleichen.

Die Signierung der Urteilsbücher folgt einer alten Zählung, die aus vorarchivischer Zeit stammt und deshalb beibehalten wurde. Mehrere Teilbestände wurden gegebenenfalls unter einer Nummer zusammengefasst.Bestandsgeschichte

Ein großer Teil der Urteilsbücher der Juristenfakultät Wittenberg kam vermutlich 1852 gemeinsam mit den Akten des Schöppenstuhls Leipzig in das damalige Hauptstaatsarchiv für das Königreich Sachsen. Grundlage für diese Annahme ist eine Akte aus dem Jahr 1834 über die von der Landesdirektion beantragte Rückgabe der Urteilsbücher des Schöppenstuhls Leipzig und der Juristenfakultät Wittenberg von der Universität Leipzig an das Hauptstaatsarchiv und die Tatsache, dass jedenfalls die Leipziger Schöppensprüche um 1852 nach Dresden gelangten. [01]
Insgesamt umfasst der aufgenommene Bestand an Urteilsbüchern der Wittenberger Juristenfakultät im Hauptstaatsarchiv Dresden 570 Verzeichnungseinheiten aus dem Zeitraum zwischen 1575 und 1815. Größere Lücken weist der Bestand im genannten Zeitraum nur im 17. Jahrhundert auf. Das hängt damit zusammen, dass sich ein Großteil der Schriftstücke aus diesem Jahrhundert (155 Urteilsbücher) unter den 209 Urteilsbüchern der Wittenberger Spruchkollegien befindet, die im Archiv der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg lagern.


2005
Jens Müller


[01] 10707, SHStAD, Loc. 215, Die von der Landesdirection beantragte Abgabe...
Die Bestände des Sächsischen Hauptstaatsarchivs und seiner Außenstellen Bautzen, Chemnitz und Freiberg, Bd 1, Leipzig 1994, S. 51

Friedensburg, W.: Geschichte der Universität Wittenberg. Halle a. S., 1917, S. 430 - 453, 562 - 574

Lück, H.: Die Spruchtätigkeit der Wittenberger Juristenfakultät : Organisation - Verfahren - Ausstrahlung. Köln, 1998

Lück, H.: Wittenberg als Zentrum kursächsischer Rechtspflege : Hofgericht - Juristenfakultät - Schöffenstuhl - Konsistorium. In: Oehmig, S. (Hrsg.): 700 Jahre Wittenberg. Weimar, 1995, S. 231 - 249
Urteilsbücher.
Die Juristenfakultät der 1502 gegründeten Universität Wittenberg hatte wie die juristischen Fakultäten anderer Universitäten von Beginn an auch rechtspraktische Aufgaben zu lösen. 1529 wurde sie zur Spruchtätigkeit für die kursächsischen Gerichte verpflichtet, erteilte seitdem Gutachten zu Gerichtsurteilen und verfasste Urteile auf nahezu allen Rechtsgebieten. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, entwickelte sie sich zu einem verfassten Spruchkollegium, das ein spezifisches Verfahren bei der Bearbeitung der Rechtsfragen und Akten anwandte. Eine Besonderheit lag in der engen Verflechtung mit dem Wittenberger Hofgericht. Neben der Juristenfakultät entstand als zweites Spruchkollegium der Wittenberger Schöffenstuhl, so dass die fünf ordentlichen Professoren der Juristenfakultät gleichzeitig als Beisitzer des Fakultätsspruchkollegiums, des Hofgerichts und des Schöffenstuhls fungierten. Außerhalb des kursächsischen Raums gutachtete die Juristenfakultät auch in den thüringischen Fürstentümern, Anhalt, dem Erzstift Magdeburg, Braunschweig-Lüneburg, Pommern, Mecklenburg und darüber hinaus. 1815 endeten die Spruchtätigkeit und die Verbindung der Wittenberger Universität mit den kurfürstlichen Rechtsprechungsbehörden.

Weitere Angaben siehe 1.5.3 Justiz
  • 2005 | Findbuch / elektronisches Findmittel
  • 2024-02-19 | Diese Ausgabe über AWAX 2.0.1.5
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