Hauptinhalt

Beständeübersicht

06. Herrschaften

Im 15. Jahrhundert begann die Entwicklung der ursprünglichen Herrengüter Sachsens zu den eigentlichen, mit gerichtsherrlichen Befugnissen ausgestatteten Rittergütern, wie sie begrifflich nach dem ersten kursächsischen Landtag von 1438 in Erscheinung traten. Neben der Eigenbewirtschaftung des Grundbesitzes nahmen die Rittergutsbesitzer nunmehr die regionale Ausübung herrschaftlicher Rechte wahr, und zwar sowohl der älteren Lehn- und Erbherrschaft wie auch der jüngeren Gerichtsherrschaft. Im gleichen Zeitraum begann die Einteilung der Rittergüter in Schriftsassen und Amtsassen. Aus dieser Differenzierung lassen sich Rückschlüsse auf die Entstehung und Besteuerung sowie die Stellung der Rittergüter zu den Landesbehörden, dem Landesherrn und ihre Vertretung im Landtag ziehen. Ihre Besitzer, die Ritterschaft oder Landstände, hatten eine Sonderstellung durch ihren privilegierten Gerichtsstand und die Steuerfreiheit bis zur Einführung der Verfassung 1831 inne. Das Erlassen der Steuern gründete sich auf Heeresdienste, die im Zuge der Militärreform bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts schrittweise in Ritterpferdsgelder umgewandelt wurden. Die Differenzierung betraf ebenso die Ausübung der Obergerichtsbarkeit und der Erbgerichtsbarkeit. Dies spiegelte sich auch im Verhältnis der Rittergutsbesitzer zu ihren bäuerlichen Hintersassen wider. Die Obergerichtsbarkeit, die stets die Erbgerichtsbarkeit einschloss und nur den schriftsässigen Rittergütern zustand, bedeutete die volle gerichtliche Selbstständigkeit und für die Besitzer dieser Rittergüter die Teilnahme an den Landtagen.

Ein solches Rittergut stellte einen eigenständigen Gerichts- und Verwaltungsbezirk dar, der dem landesherrlichen Amt gleichgestellt war. Dagegen waren die amtsässigen Rittergüter, denen in der Regel nur die niedere oder Erbgerichtsbarkeit oblag, den Ämtern unterstellt. Im 17. und 18. Jahrhundert beauftragten viele Rittergutsbesitzer ausgebildete Juristen mit der Wahrnehmung der gerichtsherrlichen und Verwaltungsbefugnisse. Die so entstandenen Patrimonialgerichte gehörten unmittelbar zu den Rittergütern. Diese Patrimonialgerichte existierten bis zur freiwilligen Abtretung der grundherrlichen Gerichtsbarkeit an den Staat nach den Verfassungsreformen in den 1830er Jahren bzw. bis zur endgültigen Übernahme der Gerichtsbarkeit durch den Staat im Jahr 1856 gemäß Gesetz vom 11. August 1855 über die künftige Einrichtung der Behörden erster Instanz für Rechtspflege und Verwaltung. In diesen Zeitraum fielen auch die Ablösungen der Fronen, Dienstbarkeiten und anderen Leistungen sowie die Teilung von Gemeindeland nach dem Gesetz über Ablösungen und Gemeinheitsteilungen vom 17. März 1832. Die sich Jahrzehnte hinziehende Ausführung dieses Gesetzes bedeutete das Ende der grundherrlichen Verhältnisse.

Im Rahmen der Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit in Sachsen im 19. Jahrhundert gingen die Kompetenzen der Rittergüter sowohl in den Gerichts- als auch in den Verwaltungsangelegenheiten bis zum 1. Oktober 1856 an die eigens dafür gegründeten Königlichen Gerichte bzw. an die bestehenden Justizämter. Dazu gehörte formal auch die Übernahme sämtlicher Akten und sonstiger Unterlagen der Patrimonialgerichte durch diese Gerichtsbehörden. Nunmehr waren die Rittergüter im Wesentlichen nur noch wirtschaftliche Einheiten auf dem Lande, wobei die Gutsherren bis zur Novemberrevolution 1918 noch einige, allerdings eingeschränkte Rechte und Privilegien besaßen. Dazu zählten u. a. Nichtunterstellung unter die Ortsgerichte, Erteilung bestimmter Konzessionen, Ausübung einiger Patronatsrechte über Kirche und Schule sowie Wahrnehmung polizeilicher Befugnisse. In Sachsen wurden die Rittergüter nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Grundlage der "Verordnung über die landwirtschaftliche Bodenreform" der Landesverwaltung Sachsen vom 10. September 1945 enteignet. Mit der "Anordnung über die Sicherstellung und Verwertung des nichtlandwirtschaftlichen Inventars der durch die Bodenreform enteigneten Gutshäuser" vom 17. Mai 1946 gelangte ein Großteil der Archivalien der Rittergüter in staatliche Verwahrung. In den Folgejahren sind in Sachsen rund 400 Adelsarchive von den staatlichen Archiven übernommen und damit gesichert worden.

Die einzelnen Bestände sind in den Abteilungen des Staatsarchivs unterschiedlich als "Grundherrschaft …" bzw. als "Rittergut …" bezeichnet, ohne dass dies auf verschiedene Bestandsinhalte hindeuten würde. Neben den Rittergütern übten weitere Herrschaften die Gerichtsbarkeit aus, z. B. Standesherrschaften, Freigüter, Hammer-, Mühlen- und Hüttengüter, Pfarrdotalgerichte, Erbgerichte u. a. Schließlich ist auf die Vasallenbergämter und -gerichte im Bergarchiv Freiberg hinzuweisen, bei denen es sich um "Bergbehörden" der jeweiligen Grundherrschaften handelte, die Bergbau auf niedere Bodenschätze betrieben (das Regal auf den Silberbergbau dagegen hatten die Wettiner in ihren Territorien seit dem 15. Jh. vollständig durchgesetzt). Wenn der Landesherr Interesse an dem entsprechenden Bergbau hatte, musste er zu dessen Wahrnehmung die entsprechenden grundherrlichen Rechte erwerben.

Einen Sonderfall in territorialer Ausdehnung und politischer Bedeutung bildeten die vielfach verzweigten Schönburgischen Herrschaften in Westsachsen, deren Überlieferung im Staatsarchiv Chemnitz einsehbar ist. Nähere Angaben dazu finden Sie unter der Beständegruppe "06.01 Landes- und Rezessherrschaften".

Die Unterlagen von Rittergütern der nordsächsischen Gebiete, die nach 1815 an Preußen fielen, werden im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt verwahrt.

Sitemap-XML zurück zum Seitenanfang