Hauptinhalt

Beständeübersicht

Bestand

22211 Erziehungs- und Pflegeheim Mittweida

Datierung1936 - 1943
Benutzung im Staatsarchiv Leipzig
Umfang (nur lfm)0,30

Bestand enthält auch 7 Archivalien, die aus rechtlichen Gründen hier nicht angezeigt werden können. Bitte wenden Sie sich im Bedarfsfall direkt an das Staatsarchiv Kontaktformular



Geschichte des Registraturbildners


Bis zur Errichtung des Erziehungsheims Mittweida hatte es in Sachsen lediglich kleinere Heime zur Erziehung von Kindern und Jugendlichen gegeben. Mit Inkrafttreten des sächsischen Fürsorgeerziehungsgesetzes vom 1. Februar 1909[01] und der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924[02] , nach welchen Minderjährige "zur Verhütung ihrer Verwahrlosung" aus ihrer bisherigen Umgebung entfernt werden durften, stieg der Bedarf an Heimplätzen für Kinder und Jugendliche jedoch stetig an.[03]

Die Zuständigkeit für die Fürsorgeerziehung lag beim jeweiligen Fürsorgeverband der Kreishauptmannschaft, dessen Vorsitz der Kreishauptmann inne hatte. Die aufzunehmenden Zöglinge wurden durch die Vollzugsbehörden gemeldet und vom Fürsorgeverband auf die Heime verteilt. Die Finanzierung erfolgte über Umlagen der Kommunalverbände aus den direkten Staatssteuern.[04]

Auf Grund des gestiegenen Bedarfs an Heimplätzen entschied sich der Fürsorgeverband Leipzig (ab 1925: Fürsorgezweckverband Leipzig), für den Neubau eines Heimes. Als Ort wurde Mittweida gewählt.

Das Erziehungsheim Mittweida wurde 1912 bis 1913 als Beobachtungs- und Erziehungsanstalt für schwererziehbare Kinder und Jugendliche beider Geschlechter und aller Altersstufen erbaut.[05] In ihm sollten ca. 300 bis 400 Minderjährige untergebracht und mit heilpädagogischen Maßnahmen erzogen werden.

Daneben unterhielt der Fürsorgeverband Leipzig das Heilerziehungsheim Kleinmeusdorf zur vorläufigen Beobachtung der Zöglinge und schloss Verträge mit weiteren Heimen, um seinen Bedarf an Heimplätzen zu decken.

Im Erziehungsheim Mittweida erfolgte die Unterbringung nach dem sog. Familien- oder Gruppensystem. Die Zöglingsfamilien bestanden aus jeweils 16 Zöglingen, denen eine Beamtenfamilie zugeordnet war.

In seiner Organisation ähnelte das Heim einem kleinen Dorf. In 15 Einzelgebäuden verfügte es über eine eigene Kapelle, eine Turnhalle, Schulen, Ausbildungswerkstätten für nahezu jeden Beruf sowie Felder und einen kleinen Viehbestand. Die zusätzlich erworbenen Güter Polster und Berggold dienten als Lehrlingsheim für ältere Zöglinge, das Rittergut Neusorge als landwirtschaftliche Ausbildungsstätte.

Die im Heim untergebrachten Zöglinge wurden entsprechend ihres Alters neben der schulischen Ausbildung zudem in praktischen Arbeiten der Hauswirtschaft, Kranken- sowie Säuglings- und Kinderpflege, Landwirtschaft und Gärtnerei ausgebildet und auf spätere Berufsausbildungen vorbereitet.[06]

In den 1930er Jahren wurde das Heim in Erziehungs- und Pflegeheim Mittweida umbenannt und nahm nunmehr auch Pflegefälle auf.[07]

Inwiefern sich das Erziehungs- und Pflegeheim Mittweida während der NS-Zeit an Euthanasie-Programmen und Sterilisierungen beteiligte, ist bislang nicht bekannt. Es sind jedoch Meldungen des Heimes über einzelne Zöglinge an die Gesundheitsämter erfolgt.[08]

Das Erziehungs- und Pflegeheim Mittweida existierte in dieser Form wahrscheinlich bis 1943. Zu diesem Zeitpunkt wurden Grundstücksteile an die Waffen-SS verkauft, die auf dem Gelände eine Schule einrichtete. Die Zöglinge des Erziehungs- und Pflegeheimes wurden in andere Heime verlegt. Die endgültige Liquidierung des Heimes und des Fürsorgezweckverbandes erfolgten erst 1947/49; einzelne Akten wurden über die Stadtverwaltung Mittweida an das dortige Stadtarchiv übergeben.[09]

Nach 1945 wurde die Liegenschaft von der SED käuflich erworben und ab 1953 als Parteischule genutzt. Ab 1990 fungierte sie zunächst als Pflege- und Seniorenheim, später als Amtssitz der Kreisverwaltung Mittweida.[10]



Bestandsgeschichte und -bearbeitung


Der Bestand wurde im Jahr 2009 im Zuge der Auflösung des Bestandes 19116 Personalunterlagen sächsischer Behörden, Gerichte und Betriebe bis 1945 vom Hauptstaatsarchiv Dresden an das Staatsarchiv Leipzig abgegeben. Er umfasste lediglich 25 Fürsorgeakten (0,3 lfm) aus dem Zeitraum 1936 bis 1943 und war mittels Ablieferungsliste benutzbar.

Im Jahr 2012 erfolgte die Bearbeitung des Bestandes. Die Akten wurden vertieft verzeichnet, neu signiert und ein alphabetisch geordnetes Findbuch erstellt.



Überlieferungsschwerpunkte


Der Bestand enthält 25 Fürsorgeakten für Minderjährige aus dem Zeitraum 1936 bis 1943. Sie beinhalten vorwiegend Aufnahme- und Entlassungsscheine, Berichte über das Verhalten sowie Kranken- und Unfallakten. Ferner sind in einzelnen Akten Abschriften der Jugendamtsakte, Anklageschriften, Konfirmations- und Taufscheine, Fotos, persönliche Zeichnungen und Briefe der Minderjährigen an ihre Verwandten zu finden.

Verwaltungs- und Personalakten befinden sich nicht im Bestand; sie befinden sich zumindest in Teilen im Stadtarchiv Mittweida


Hinweise für die Benutzung


Es handelt sich bei den Fürsorgeakten um personenbezogenes Archivgut, dass nach § 10 Abs. 1 Satz 3 des Sächsischen Archivgesetzes erst zehn Jahre nach dem Tod bzw. hundert Jahre nach der Geburt der betroffenen Person benutzt werden darf. Die vorherige Vorlage dieser Archivalien ist nur nach gesonderter Prüfung im Wege des Antragsverfahrens zur Schutzfristenverkürzung möglich. Die Frist läuft für die ersten Akten im Laufe des Jahres 2020 ab.




Verweise auf korrespondierende Bestände


Für weitere Recherchen befinden sich im Staatsarchiv Leipzig folgende ergänzende Bestände:



20192 Bezirksschulamt Rochlitz (insbes. die Signaturen 290 - 293)

20188 Bezirksschulamt Borna (insbes. Signatur 705)

20043 Gesundheitsamt Borna (insbes. die Signaturen 0880, 1253 und 1344 - Anträge auf Unfruchtbarmachung von Patienten des Erziehungsheimes)

20045 Gesundheitsamt Leipziger Land (Anträge auf Unfruchtbarmachung von Patienten des Erziehungsheimes)

20046 Gesundheitsamt Rochlitz (Anträge auf Unfruchtbarmachung von Patienten des Erziehungsheimes)



Im Hauptstaatsarchiv Dresden befinden sich außerdem die einzubeziehenden Bestände:



10736 Ministerium des Innern

11401 Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung



Zudem befinden sich im Stadtarchiv Mittweida ergänzende Unterlagen (Verwaltungs- und Personalangelegenheiten).



Marlen Schnurr, Mai 2012
Doreen Etzold, Oktober 2012


[01] GVBl. für das Königreich Sachsen, 1909, S. 63ff.
[02] Reichsgesetzblatt 1924, Teil I, S. 100ff.
[03] StA-L, 20188 Bezirksschulamt Borna, Nr. 705: Bericht des Fürsorgeverbandes Leipzig über das Jahr 1913.
[04] StA-L, 20192 Bezirksschulamt Rochlitz, Nr. 290.
[05] Adressbuch für den Staats- und Amtsgerichtsbezirk Mittweida, 1937, S. 19.
[06] StA-L, 20192 Bezirksschulamt Rochlitz, Nr. 292.
[07] Adressbuch für den Staats- und Amtsgerichtsbezirk Mittweida, 1937, S. 19.
[08] Siehe Bestände der Bestandgruppe 02.03.03.09 Gesundheitsbehörden.
[09] Auskünfte des Stadtarchivs Mittweida: Sabine Hausmann (2012) und Benny Dressel (2001).
[10] Zur Geschichte der Stadt Mittweida, hrsgg. von der Stadtverwaltung Mittweida, Mittweida 2009, S. 118.
Fürsorgeakten.
Das Erziehungsheim Mittweida wurde 1912 bis 1913 vom Fürsorgeverband der Kreishauptmannschaft Leipzig als Beobachtungs- und Erziehungsanstalt für schwererziehbare Kinder und Jugendliche beider Geschlechter und aller Altersstufen erbaut. Es unterstand der Aufsicht des Ministeriums des Innern.
In den 1930er Jahren wurde das Heim in Erziehungs- und Pflegeheim Mittweida umbenannt und nahm nunmehr auch Pflegefälle auf. In dieser Form bestand das Heim wahrscheinlich bis 1943, als Grundstücksteile an die Waffen-SS verkauft wurden. Die Zöglinge des Erziehungs- und Pflegeheimes wurden in andere Heime verlegt. Die endgültige Liquidierung des Heimes erfolgte erst 1947/49.
  • 2012 | Findbuch / Datenbank
  • 2025-02-25 | Diese Ausgabe über AWAX 2.0.1.5
Sitemap-XML zurück zum Seitenanfang