18. November – 7. Dezember 1918: Pläne für die Zukunft, Schwierigkeiten im Jetzt

Regierungserklärung, veröffentlicht in der Sächsischen Staatszeitung Nr. 269 vom 18.11.1918 (Ausschnitt, bearbeitet)
Regierungserklärung, veröffentlicht in der Sächsischen Staatszeitung Nr. 269 vom 18.11.1918 (Ausschnitt, bearbeitet) 
© Sächsisches Staatsarchiv

Während die Volksbeauftragten das Volk über ihre weitreichenden Zukunftspläne informierten, führte das Nebeneinander von neuen Räten und alten Behörden zu fortgesetztem Kompetenzgerangel.

Zwei Tage nach der Regierungserklärung  folgte eine weitere Veröffentlichung des Gesamtministeriums in der Sächsischen Staatszeitung unter dem Titel »An das sächsische Volk!«. Ausführlicher als zuvor beschrieben die Volksbeauftragten darin ihre Ziele und Absichten. Neben den bekannten Themen und vielerlei kleinerer Ankündigungen tauchen einige bemerkenswerte politische Äußerungen auf:

Die Beseitigung der bundesstaatlichen Verfassung

Zunächst fällt die Formulierung über das neu beginnende Zeitalter des Überganges von der kapitalistischen in die sozialistische Gesellschaftsordnung auf. Dazu soll auch »die Beseitigung jedes auf Ausbeutung beruhenden Einkommens […], desgleichen die Vergesellschaftung der dazu geeigneten kapitalistischen Unternehmen in Landwirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr« erstrebt werden. Zu beachten ist weiterhin die Formulierung, nach der die neue sächsische Regierung »die Beseitigung der veralteten Bundesstaatlichen Verfassung und die Einordnung Sachsens in die einheitliche groß-deutsche Volksrepublik, an die auch Deutsch-Österreich seinen Anschluss vollziehen möge,[anstrebe]. Den einzelnen Teilgebieten des neuen Groß-Deutschland soll weitgehende Selbstverwaltung und Schutz der Kulturinteressen gesichert werden.«

Der Anschluss Deutsch-Österreichs, das nach dem Auseinanderbrechen der Habsburgermonarchie als eigenständiger Staat entstanden war, war für weite Teile der Bevölkerung eine Selbstverständlichkeit – auch auf österreichischer Seite. Dementsprechend wurde von der österreichischen Nationalversammlung in Art. 2 des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich unmissverständlich festgesetzt: »Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.« Verhindert und schließlich im Vertrag von Saint-Germain entgegen des zuvor proklamierten Selbstbestimmungsrechts der Völker verboten wurde der Zusammenschluss von den alliierten Siegermächten.

Wie weit dagegen die Pläne zur »Beseitigung der veralteten Bundesstaatlichen Verfassung und die Einordnung Sachsens in die einheitliche groß-deutsche Volksrepublik« im Detail führen sollten, ist aus den Akten nicht ablesbar. Offensichtlich bevorzugte das Gesamtministerium eine stärkere Zentralisierung der Republik gegenüber dem Föderalismus des Kaiserreiches. Zusammengefügt mit der Formulierung über den Schutz der »weitgehenden Selbstverwaltung und der Kulturinteressen« der »Teilgebiete«  und dem geforderten Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, könnten durchaus Zweifel an der Fortexistenz eines eigenständigen Landes Sachsen aufkommen.

/
(© Sächsisches Staatsarchiv)

Regierungserklärung, veröffentlicht in der Sächsischen Staatszeitung Nr. 269 vom 18.11.1918; Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, 10736 Ministerium des Innern, Nr. 9279.

Zeitungsartikel »An das Sächsische Volk« aus der Sächsischen Staatszeitung Nr. 269 vom 18.11.1918
/
(© Sächsisches Staatsarchiv)

Feststellung der Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Entscheidungen lokaler Arbeiter- und Soldatenräte; Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, 10736 Ministerium des Innern Nr. 9279.

Feststellung der Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Entscheidungen lokaler Arbeiter- und Soldatenräte durch das Ministerium des Innern
/
(© Sächsisches Staatsarchiv)

Feststellung der Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Entscheidungen lokaler Arbeiter- und Soldatenräte; Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, 10736 Ministerium des Innern Nr. 9279.

Feststellung der Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Entscheidungen lokaler Arbeiter- und Soldatenräte durch das Ministerium des Innern
/
(© Sächsisches Staatsarchiv)

Feststellung der Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Entscheidungen lokaler Arbeiter- und Soldatenräte; Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, 10736 Ministerium des Innern Nr. 9279.

Feststellung der Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Entscheidungen lokaler Arbeiter- und Soldatenräte durch das Ministerium des Innern
/
(© Sächsisches Staatsarchiv)

Feststellung der Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Entscheidungen lokaler Arbeiter- und Soldatenräte; Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, 10736 Ministerium des Innern Nr. 9279.

Feststellung der Recht- oder Unrechtmäßigkeit von Entscheidungen lokaler Arbeiter- und Soldatenräte durch das Ministerium des Innern
/
(© Sächsisches Staatsarchiv)

Zeitungsartikel »Das Proletariat unter der Diktatur« vom 5. Dezember 1918 aus dem Vorwärts; Quelle: Sächsisches Staatsarchiv, 10702 Staatskanzlei, Nachrichtenstelle Nr. 519.

Zeitungsartikel »Das Proletariat unter der Diktatur« vom 5. Dezember 1918

Wie in den beiden Regierungserklärungen »Bekanntmachung über die Weiterführung der Dienstgeschäfte« vom 16. November und »An das Sächsische Volk!« vom 18. November 1918 zu lesen war, sollten die Arbeiter- und Soldatenräte nur Kontrollfunktionen, nicht jedoch die Verwaltung oder Gesetzgebung an sich übernehmen.

Trotzdem kam es in zahlreichen Gemeinden zu eigenmächtigem und nicht vom Gesamtministerium legitimiertem Handeln der lokalen Räte. Beispielhaft zu nennen wären die Amtsenthebung von Stadträten, die Kündigung der Anstellungsverträge von Gemeindebeamten und die Übernahme der Stadt- oder Kreisleitung. Entsprechende Fälle meldeten betroffene Behörden und Gemeinden zahlreich an das Ministerium des Inneren, wo auf Grundlage der Regierungserklärungen über die Recht- oder, in den allermeisten Fällen, Unrechtmäßigkeit der Beschlüsse der Arbeiter- und Soldatenräte entschieden wurde.

zurück zum Seitenanfang